digitalien.org — Stefan Knecht

Wie kann man Psychological Safety herstellen?

Psychological Safety oder Sozialkapital ist der wesentliche Hebel für leistungsfähige Teams. Im Kern steckt wechselseitiges Vertrauen und die Sicherheit, auch unangenehme Dinge oder Fehler benennen zu können — ohne persönlichen Schaden zu nehmen. Wie kann man das erreichen?

In der Umkehrung wird vielleicht schnell deutlich, worum es geht: fehlt psychologische Sicherheit, dann kommt es zu ‘organisatorischem Schweigen’, zu employee silence — ‘Dienst nach Vorschrift’ und eher früher als später: Stillstand. Das will man nicht.

Wie kann psychological safety, Sozialkapital, Vertrauen hergestellt werden? Was ist zu tun (und was zu unterlassen)?

Kann man die individuelle Sicherheit messen?
Jein — Indizien kann man sammeln.
 

7 Fragen stellen: Haben wir psychologische Sicherheit im Team?​

In ihrem 2020 erschienenen Buch bietet Edmondson sieben Fragen, die auf einer Likert-Skala beantwortet werden können. Es geht um persönliche Haltungen, hier um Zustimmung/Ablehnung zu einer Aussage. Die Skala hat 7 Stufen, eine 4 wäre eine neutrale weder-/noch-Haltung.

  1. Wenn ich im Team einen Fehler mache, wird er oft gegen mich verwendet. (R)
  2. Die Mitglieder des Teams können Probleme und schwierige Fragen ansprechen.
  3. Personen im Team lehnen manchmal andere ab, weil sie anders sind. (R)
  4. In diesem Team ist es sicher, ein Risiko einzugehen.
  5. Es ist schwierig, andere Teammitglieder um Hilfe zu bitten. (R)
  6. Niemand in diesem Team würde absichtlich gegen meine Bemühungen handeln.
  7. Bei der Arbeit mit anderen werden meine Fähigkeiten wertgeschätzt und genutzt.

Diese Fragen werden einem Team vorgelegt und jede:r beantwortet sie still und anonym.

Bei den vier positiv formulierten Fragen deutet individuelle Zustimmung auf größere, bei negativ formulierten (reverse) Fragen zeigt Ablehnung höhere psychologische Sicherheit. R-Fragen werden invertiert ausgewertet (1 für 7, 6 für 2 usw.).

In der Summe entsteht ein über die Gruppe normalisiertes Ergebnis. Wenn alle einverstanden sind, dann können die Einzelergebnisse nebeneinander gestellt und verglichen werden.

Sind auffällige Abweichungen zu erkennen?
Dann genauer hinschauen: es scheint in der Gruppe, im Team divergente Sichten zu geben.

 

Wie kann Sozialkapital erwirtschaftet werden?

In einem kurzen Vortrag von Amy Edmondson 2014 folgen drei Hinweise (ab 7’30”), wie Psychological Safety erreicht werden kann:

  1. Arbeit als Lernaufgabe verstehen lassen, nicht als Ausführung (execution)
  2. die eigene Fehlbarkeit anerkennen und kommunizieren
  3. Neugierde vorleben
 
Unmittelbar ‘actionable’ ist das nicht. Wie soll das konkret gehen, wie kann eingeschliffenes Verhalten bleibend und produktiv verändert werden?

 

Amy Edmondson: »... high, high in the learning zone«

Wie kann Verhalten verändert werden?

Für Leitungsrollen bedeutet das mindestens, was im Beitrag Führung über Vertrauen ➚ angerissen ist:
 
  • mehr dienen als anordnen,
  • eher servant leader sein als Boss.
  • Einhalten, was man ankündigt.
 
Ganz einfach also.
Nichts hindert, das sofort zu tun. Jetzt. Ohne irgendetwas. Kein Berater, kein PowerPoint.
 

Der 3er-Kanon für vertrauensvolles Arbeiten

1 — Jede Stimme ist willkommen

Produktiv aufeinander reagieren. »Danke für Deinen Beitrag.« Ohne Wenn und ohne Aber. Das kann anstrengend werden, wenn schon alles gesagt ist, nur noch nicht von jedem.

Moderation kann und wird umsichtig dämpfen, wenn die Aussage des Vorredners ohne weiteren Beitrag wiederholt wird — doch aufmerksame Wertschätzung ist die Grundlage für Vertrauen.

2 — Schlau scheitern

Ein intelligenter Fehler in einem ambitionierten Experiment bringt nützliche Erkenntnisse, die vorher niemand hatte.

Zu wissen, wie etwas nicht geht, hat Wert: es reduziert Unsicherheit und kann neue Chancen bieten, die zuvor nicht ersichtlich waren.


Dumme Fehler wurden bereits anderswo gemacht. Sie wurden nur nicht weitergetragen und niemand konnte daraus lernen.


Tipp: fuck-up talks veranstalten. 15 min, ein:e Sprecher:in berichtet detailliert, wie er/sie etwas mit Ansage und Vollkaracho vor die Wand gefahren hat.

3 — Regelverstöße sanktionieren

Erwünschtes Verhalten muss klar definiert sein. Am Besten schriftlich und in einer Team Charta.

 

Das Team schreibt sich selbst eine Verfassung, ein Vademecum: wie wollen wir miteinander umgehen, was machen wir Konfliktfall? Allein das Aufstellen dieser Charta ist eine vertrauensvolle Übung und lässt den/die Anderen besser verstehen.
 
Wie gehen wir um mit unvorbereitet sein, mit zu spät kommen/liefern/reagieren … was ist zu spät? Wie verstehen wir Qualität einer Zuarbeit oder Lieferung? Was tolerieren wir, was akzeptieren wir nicht mehr? Wie wollen wir Veranstaltungen oder Termine planen: gibt es Termine ohne Agenda und zu jedem Termin auch Ergebnisse?
 

Was hat Sozialkapital mit Führung zu tun?

Führung braucht es erst, wenn erprobte und funktionierende Vereinbarungen für weitere Teams gelten sollen. ‘Führung’ heisst nicht unbedingt ‘Führungskräfte’ — doch davon ein andermal.

Sneak Preview:

Die Kultur jeder organisation wird geformt durch das beste/schlimmste Verhalten, das ihre Führung verstärkt/toleriert.

Quellen

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