digitalien.org — Stefan Knecht

Bockige Mitarbeitende? Warnhinweise für Führende.

Die Forscherinnen Anna van der Velde und Fabiola Gerpott untersuchten renitente Mitarbeitende und gelangen zu überraschenden Rückschlüssen auf das Führungspersonal: »die Einordnung (von Renitenz) als kontraproduktives Verhalten greift zu kurz«, schreiben sie in einer im Dezember 2023 veröffentlichten Arbeit.[1]
<tl;dr>[2] Mit Renitenz schützen widerstrebende Mitarbeitende sich gegen Arbeitsüberlastung oder Übergriffigkeit von Führungspersonen. Mangelnde Fügsamkeit kann also Warnhinweise zu Führung geben — wenn man Warnungen sehen will.

Fünf Formen der Renitenz wurden identifiziert[3], die ähnlich häufig[4] auftraten. In Summe beschreiben diese Widerstände das werktägliche Verhaltensspektrum der Lohnarbeit in ganzer Pracht:
  1. überzogenes Selbstbild (entitlement[5])
  2. übermäßige Kontaktsuche oder -vermeidung
  3. Minimierung des Aufwands[6]
  4. gefühlsbetont schwankende Kommunikation[7]
  5. Untergrabung der Teamstruktur[8]

Hängt die Wahrnehmung widerborstigen Verhaltens systematisch mit Merkmalen der Führungsperson[9] wie Intelligenz oder Persönlichkeit[10] zusammen? Methodisch etwas schwächer[11] und unter einem Anfangsverdacht des social desirability bias[12] (wer hat schon gerne ’seine Leute nicht im Griff’?) sind die Ergebnisse nicht direkt selbsterklärend:

Kluge und bescheidene Menschen erleben seltener Widerstand gegen ihre Führung, es sei denn, sie fragen Mitarbeitende aktiv nach Kritik.[13] Je unkonventioneller allerdings die Führungspersönlichkeit, um so mehr Renitenz scheint zu entstehen.[14]

Wenn man nun schlau ist, noch dazu unkonventionell und obendrein Führungskraft und sich trotz alledem mit bockigen Mitarbeitenden zu plagen hat — wie kommt man aus dieser Zwickmühle wieder heraus? Van der Velde und Gerpott verweisen auf weitere Arbeiten[15], die vermuten lassen, dass mit mehr Führungsaufgaben auch der Austausch mit anderen Führenden rapide schwindet.

Oder anders: ‘oben wird die Luft dünner: jede/r steht für sich alleine, dazugelernt wird nichts mehr ’. Zur Abhilfe dieser hierarchisch induzierte Selbstisolation wird zu reverse mentoring[16] geraten: Führungskräfte werden Mentees von Mitarbeitenden — die Wirkkräfte werden umgedreht.

Das wäre dann dieses ‘miteinander auf Augenhöhe arbeiten’, zu dem man zurückkehrt, wenn es mit direktiver Führung nicht so gut klappt?

Verrückte Welt.

.∵.


  1. Velde, Anna van der, und Fabiola Gerpott. „Ich bin dagegen – Fünf Formen der Renitenz von Mitarbeitenden“. PERSONALquarterly 2024, Nr. 1 (Dezember 2023): 44–47.  ↩
  2. too long, didn’t read — die Zusammenfassung für eilige Leser  ↩
  3. 40 Interviews und Befragung von n= 1.229 deutschen Führungskräften; Auswertung per „Topic-Modelling“ um zentrale Themen in großen Textsammlungen zu finden sowie Korrelationsanalysen: immerhin 80 % der Führungskräfte gaben an, mehrmals täglich mit Mitarbeitenden zu kommunizieren, 12,5 % gaben an, einmal wöchentlich zu interagieren  ↩
  4. übermäßiger/vermeidender Kontakt mit 15 % als geringste, Minimierung des Aufwandes mit 23% als häufigste Nennung  ↩
  5. Bedürfnis, immer Recht haben zu müssen; übertriebene Selbsteinschätzung; Infragestellen von Entscheidungen der Führungskraft; Überbetonung eigener Probleme; Herabsetzen anderer, um selbst besser dazustehen; Schutz des eigenen positiven Selbstbilds durch Lügen; Mitarbeitende, die „sich selbst für den/die einzige hielten, die wirklich arbeiten“, Anweisungen nicht befolgten, »Ja, aber wir könnten doch …“ als Reaktion auf Arbeitsaufträge  ↩
  6. gemeint ist damit, als Mitarbeitende/r den eigenen Aufwand so gering als möglich zu halten – konkreter: ‘überall dabei sein doch nichts Handfestes beitragen’ bzw. Weiterdelegieren der eigenen Aufgaben an andere Teammitglieder oder Rückdelegation  ↩
  7. emotionale Ausbrüche (…); übersteigerte Darstellung eigener Themen und Verdrängung der Themen der Führungskraft; reservierte Kommunikation, bei der Mitarbeitende emotional verschlossen oder undurchsichtig bleiben  ↩
  8. u.a. (Selbst-)Isolation des Mitarbeitenden vom Team; Ignorieren von Teamabsprachen und Regeln; fehlende Bereitschaft, eigenständig Konflikte mit anderen Teammitgliedern zu lösen  ↩
  9. demografische Charakteristika, Intelligenz, Persönlichkeit  ↩
  10. Intelligenz gemessen über einen kognitiven Fähigkeitstest; Persönlichkeit ermittelt über den sog. HEXACO-Persönlichkeitstest  ↩
  11. n = 1.229; 19 bis 69 Jahre; Online-Fragebogen; Teilnehmende aus USA und UK – nicht aber aus DE  ↩
  12. Die Autorinnen schreiben »In der (Führungs-)Forschung hat sich gezeigt, dass Personen besonders bei Fragen nach unangenehmen Themen oftmals ihre Antworten an die sozialerwünschten Normen anpassen („social desirability bias“) da renitentes Verhalten von Mitarbeitenden in schlechtes Licht auf die sie Führenden werfen würde.«  ↩
  13. Führende mit hohen Ausprägungen in der Dimension »Ehrlichkeit-Bescheidenheit« und höheren kognitiven Fähigkeiten berichteten von weniger Renitenz. Je häufiger allerdings bescheidene Führende von Mitarbeitenden Rückmeldungen aktiv erfragen — um so häufiger erleben sie auch Renitenz.  ↩
  14. Führende mit hohen Werten in der Dimension »Offenheit für Erfahrungen«, beschrieben u.a. mit Adjektiven wie kreativ, unkonventionell, innovativ, ironisch … berichteten von mehr Widerstand mitarbeitender Kollegen.  ↩
  15. Ashford, S. „Reflections on the Looking Glass: A Review of Research on Feedback-Seeking Behavior in Organizations“. Journal of Management 29, Nr. 6 (Dezember 2003): 773–99. DOI.  ↩
  16. Jordan, J. und Sorell, M. „Why Reverse Mentoring Works and How to Do It Right“. Harvard Business Review, 3. Oktober 2019. URL.  ↩