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digitalien.org — Stefan Knecht
Wie filtert man aus einem Meer markiger statements, was tatsächlich fundiert ist?
In diesem Beitrag geht es darum, populäre Statements zu change, ‘Wandel’, ‘Veränderung’ auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen: was davon ist untersucht, was kommt heraus und welche steile Thesen sind eher fake facts?
Scheitert tatsächlich ein Dreiviertel aller Change-Initiativen? Dieser satten Behauptung fehlt das Fundament.[1] [2] Die wenigen empirischen Untersuchungen kranken an lauen Begriffsdefinitionen, der Eingrenzung des Sachgebietes und methodischen Schwächen. Wenigstens der Ursprung der kolportierten ‘siebzig Prozent’ ist halbwegs klar und stammt aus einem anderen Kontext als die Verallgemeinerung zu alle Change-Initiativen. Hammer & Champy[3] gaben 1994 diese 70%-Fehlrate als ihre subjektive Einschätzung für ‘Reengineering-Vorhaben’ an.[4] Auch ein Widerruf half nicht:
»Unfortunately, this simple descriptive observation has been widely misrepresented and transmogrified and distorted into a normative statement (…)« — Hammer & Stanton, 1995[5]
Falsche Informationen werden durch Wiederholung weder richtiger noch verschwinden sie freiwillig. Die Missinterpretation einer subjektiven Einschätzung wurde durch wiederholt ungeprüfte Zitate zu einer universellen Wahrheit.
In der evidenzbasierten Wirkungsprüfung medizinischer Interventionen gibt es das Cochrane-Verfahren[6]. Zu einer Indikation oder Therapie ergibt dies einen umfassenden Überblick über Forschungsergebnisse und Metaanalysen randomisiert kontrollierter klinischen Studien, dem Goldstandard wissenschaftlicher Arbeit zu einem Zeitpunkt. Das kann sich ändern, wenn neue Daten veröffentlicht werden.
Für die Sozial-, Management- und Organisationsforschung sind harte Evidenzen schwieriger zu erbringen: Interventionen in sich ständig verändernden sozialen Systeme wie Unternehmen es sind, widersetzen sich kontrollierter Randomisierung. Sozialforscher verwenden andere Methoden. [7]
Für Management- und Organisationsmethoden kann es kein Cochrane-Verfahren geben. Das nicht-kommerzielle ’Center for Evidence-Based Management’ (CEBM)[8] versucht Annäherungen an die methodisch saubere Prüfung von Managementmoden. Der runner up in der Wahrheitsprüfung ist die aufwändige und hartnäckige Methode eines Rapid Evidence Assessments (REA).[9]
Akademische Beiträge werden objektiv und reproduzierbar gefiltert um nach einer gründlichen Bewertung des Inhaltes Rückschlüsse auf ursächliche Wirkungen ziehen zu können. Anders als eine Literaturübersicht ist ein REA transparent, überprüfbar, reproduzierbar und eliminiert strukturelle Denkfehler (nach Bestätigung der eigenen Sicht suchen, gegenläufige Ergebnisse ignorieren und viele Dutzende weitere biases). Als Daten fliessen Informationen, Fakten und ebenso nicht-systematische Praxiserfahrungen aus publizierter und unabhängig prüfbarer wissenschaftlich durchgeführter Forschung ein. Diese Daten können eine Behauptung, Annahme oder Hypothese unterstützen oder eben widerlegen. Ziel einer REA ist es, quantitativ und qualitativ bewertbar zu machen, ob eine Erkenntnis generalisierbar ist oder nur unter spezifischen Randbedingungen gilt. Das Verfahren ist aufwändig und zeitintensiv und alles andere als rapid: in zwölf standardisierten Schritten[10] werden systematisch Primärstudien in 5 Güteklassen von A+ bis D qualifiziert. A+ wäre ein systematischer Review mit einer Metaanalyse randomisiert-kontrollierter Studien, D wäre eine Querschnittstudie mit geringster Verallgemeinerung. Alleinstehende Fallstudien werden aussortiert.
Ergebnis einer REA ist eine nachvollziehbar ausgewogene Bewertung dessen, was in der wissenschaftlichen Literatur über eine Intervention, einen Anspruch oder ein praktisches Problem zu einem Zeitpunkt bekannt ist. Ändert sich die Datenlage, dann kann sich auch die Bewertung ändern.
Diesen mühsamen Weg einer Faktenprüfung für populäre Aussagen im ‘Change Management’ gingen 2017 mehrere Autoren.[11] Als Datengrundlage wurden 563 populäre Genre-Bücher nach ihrem Amazon-Verkaufsrang ausgewählt. Aussortiert wurden mangels interner Validität one-trick-ponies und Bücher, in denen prominente Management-Gurus ihre Meinung ausbreiten, doch Daten schuldig bleiben. Die verbleibenden 23 Büchern hatten drei Eigenschaften gemeinsam, sie …
Dieser erstaunlich kleine Rest ist, was Praktikerinnen brauchen: Wirksame Interventionen, die in Veränderungssituationen zuverlässig wirken sollten.
Aus den verbleibenden, nur mehr 23 ‘Change Management’-Büchern wurden 18 Aussagen kondensiert, ein Ausschnitt:
Menschen ändern sich nicht, wenn es keine Dringlichkeit (sense of urgency, Kotter) gibt. (3)
In Änderungszuständen ist ein transformativer Führungsstil effektiver als ein transaktionaler.[12] (5)
Veränderungen in Unternehmen braucht Führungsrollen mit starker emotionaler Intelligenz.[13] (6)
Die Unternehmenskultur hat einen Effekt auf die (ökonomische) Unternehmensleistung. (14)
Wenn Sie selbst Veränderungen in Unternehmen planen, anstossen oder durchführen, dann sind diese 18 wiederkehrenden Aussagen[14] wahrscheinlich bekannt: Welche Aussagen sind evident und mit solider Forschung unterlegt, welche nicht?
Aussage, statement | eher wahr | unsicher | eher falsch |
---|---|---|---|
1. Siebzig Prozent aller Veränderungsinitiativen scheitern. | . | . | keine Evidenz |
2. Eine klare Vision ist für einen erfolgreichen Wandel unerlässlich. | klare Belege | . | . |
3. Menschen werden sich nicht verändern, wenn kein Gefühl der Dringlichkeit besteht. | keine Evidenz | ||
4. Für erfolgreichen Wandel ist Vertrauen in die Führung erforderlich. | kleine bis mittlere positive Effekte | . | . |
5. Bei der Bewältigung des Wandels ist ein transformationaler Führungsstil effektiver als ein transaktionaler.[12] | . | sowohl transaktional wie transformative Führung hat kleinen Einfluss | . |
6. Organisatorischer Wandel erfordert Führungskräfte mit ausgeprägter emotionaler Intelligenz [13]. | . | . | |
7. Die Unterstützung durch Vorgesetzte ist entscheidend für den Erfolg des Wandels. | . | . | |
8. Um den Wandel in Organisationen zu verwirklichen, ist eine starke Führungskoalition erforderlich. | . | Schwache Effekte, uneinheitlich: Vertrauen scheint ein wirksamer Prädiktor | . |
9. Die Fähigkeit der Mitarbeiter zur Veränderung bestimmt die Fähigkeit der Organisation zur Veränderung. | . | kaum Untersuchungen, definitorisch unsicher | . |
10. Partizipation ist der Schlüssel zum erfolgreichen Wandel. | . | uneinheitliche, eher kleinere Effektstärken | . |
11. Widerstand gegen den Wandel ist dem Erfolg des Wandels abträglich. | . | kaum valide Daten, eher keine Evidenz | . |
12. Ein fairer Veränderungsprozess ist wichtig, um erfolgreiche Veränderungen zu erreichen. | . | fairer Prozess hat mittleren bis großen positiven Einfluss (level A). | . |
13. Die Veränderung der Organisationskultur ist zeitaufwändig und schwierig. | . | bei 150+ Definitionen von ‘Organisationskultur’ sind Studien nicht mehr sinnvoll vergleichbar | . |
14. Die Organisationskultur hängt mit der Leistung zusammen. | . | (wie 13) | . |
15. Die Festlegung von Zielen in Verbindung mit Feedback ist ein wirksames Instrument für Führungskräfte im Wandel. | konsistente Effekte auf hohem Niveau (level A) | . | . |
16. Das Engagement für den Wandel ist ein wesentlicher Bestandteil einer erfolgreichen Veränderungsinitiative. | bestätigt auf mittlerem Niveau | . | . |
17. Finanzielle Anreize sind ein wirksames Mittel, um Veränderungen zu fördern und die Leistung zu verbessern. | bestätigt auf mittlerem Niveau | . | . |
18. Selbstverwaltete Teams erzielen bessere Ergebnisse bei der Umsetzung von Veränderungen als traditionell verwaltete Teams. | . | moderat positive Effekte – nicht generalisierbar | . |
Zwei dieser 18 Aussagen herausgegriffen:
»Menschen werden sich nicht verändern, wenn kein Gefühl der Dringlichkeit besteht.« — Kotter, Leading Change, 1996
Als universelle Aussage ist Kotter’s signature quote des sense of urgency wissenschaftlich nicht haltbar, das heisst durch Daten aus Untersuchungen nicht begründet. Schwache Hinweise gibt es wohl, doch nicht als Eingangsbedingung: es muss nicht zuerst die Hütte brennen damit etwas geschieht.
Zeitlicher Druck oder Zeitknappheit hat einen positiven Einfluss auf kooperatives Verhalten in Entscheidungssituationen und wirkt unter experimentellen Bedingungen leistungssteigernd (level A).
Angst hingegen befördert kurzfristiges Denken und Handeln — was bei nachhaltigen Veränderungen in Unternehmen kaum ein sinnvolles Ziel sein kann. Eine wahrgenommene Bedrohung ist nur dann auch individuell wirksam, wenn die Selbstwirksamkeit einer Person ebenfalls hoch ist.[15] Oder: bin ich willens und fähig meine eigene Situation zu ändern — dann aktiviert eine wahrgenommene Bedrohung. Sonst nicht. Das hört sich zu Recht an wie die ‘gelernte Hilflosigkeit’, mit der Martin Seligman sich wissenschaftliche Sporen verdiente, ehe er in die Positive Psychologie abdriftete.
»Self-managing teams perform better in realizing change than traditionally managed teams.« ist der Kern der agilen Erzählung und das Glaubensbekenntnis der Aglisten oder »… lass’ die Leute machen, räume Hindernisse aus dem Weg, vertraue und sorge für gute Umgebungsbedingungen — dann wird alles besser.«.
Ist das so? Die validen Untersuchungen dazu bringen vage Ergebnisse. Es gibt wohl Belege für spezifische Arbeits- und damit Sozialsituationen, in denen sich selbst organisierende Gruppen oder Teams bessere Leistungen bringen:
»(…) the positive effect on performance is greatest for self-managing teams dealing with high-tech novelty and radical innovation« — Patanakul & Lynn (2012)[16]
Die Verallgemeinerung zu ‘Selbstorganisation ist immer besser als organisiert werden’ ist nicht haltbar: auf den Kontext kommt es an. In Situationen radikaler Innovation mit brandneuen Technologien ist Selbstorganisation belegt besser als direktiv organisiert werden.
Niemand kann eine wahre Antwort geben.
Für die Unternehmenspraxis wäre schon nützlich zu wissen, welche Interventionen oder Praktiken in welcher Art Situationen zuverlässig erwünschten Verhaltensänderungen führen.
So lange das der Fall nicht ist: Selber denken hilft — und freundlich skeptisch bleiben.
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