digitalien.org — Stefan Knecht

Was sollten agile Coaches können?​

Der Kurs ist durch und die Prüfung bestanden — schon glitzert das Zertifikat im Social Media-Profil: Agile Coach. Los geht’s, die Welt retten. Der Welpenbonus verfliegt schnell: hier ein paar Handreichungen wie Sie lieber neue Fehler machen als bereits gemachte zu wiederholen.

Arbeit mit Menschen ist nicht einfach, arbeiten mit Menschen in gewachsenen Organisationen ist härter: Sozialarbeit und nahe an Erwachsenenbildung. Darauf bereitet kein PowerPoint vor und auch kein Zertifikat.

Was im Agilen Manifest steht, ist ebenso kurz wie erstrebenswert. Die Rolle des Agile Coach oder Scrum Master ist eher lose definiert. Im ersten Wortgefecht in realer Gruppendynamik hilft das so viel wie ein nicht gemachter Erste-Hilfe-Kurs. Theoretisch zu wissen, wie funktionierende Teams miteinander tun, hilft in der Praxis eher nicht: es menschelt, fremdelt und jede:r streckt sich nach der Decke.

Irgendwie durchwursteln? Ja, mit System und Transparenz.

»... und dann kommt eine:r und sagt ‘hat’s ja nicht drauf’«

Für den frisch gebackenen Agile Coach kann ‘nicht zu genügen’ beängstigend sein. Man müsste schon sehr abgebrüht und wenig emphatisch sein, berührte einen das nicht.

  • Wollen und werden ‘die’ mir zuhören und sich leiten lassen, auf meine Hinweise eingehen?
  • Geht mir der Stoff aus vor Ende des Tages?
  • Wird Unerfahrenheit als Inkompetenz stigmatisiert … und bin ich dann raus?
  • Soll ich selbst aktiv werden oder warten bis ich aufgefordert werde?

Was können Sie proaktiv tun um wirksam zu werden?

Auftrag klären

Weiß das Team, dem ich behilflich sein soll besser zu werden, was mein Auftrag ist?
Sind das dieselben Erwartungen, die mein Auftraggeber mit mir verhandelte?
 
Nein? Das kommt zuerst.
 
Machen Sie intern öffentlich, wenigstens mit ‘Ihrem’ Team und unbedingt bevor es los geht, weshalb genau Sie da sind, wer Sie beauftragt und was die formulierten Erwartungen sind.
 
Irgendjemand unterschreibt Ihre Rechnung: wer? Und warum?
 
Woran werden Sie gemessen? Was muss beobachtbar eingetreten sein, dass es in einem halben Jahr heisst »Ich bin froh, dass Sie da sind und uns unterstützen.«

Vielleicht haben Sie das alles auch schon erfahren, als sie angeheuert wurden. Wenn nicht, dann ist der erste Tag der Beste um es zu erfahren.

Eine versteckte Agenda fliegt auf. Eher früher als später.

Was-bisher-war verstehen: Was hat das Team im Rucksack?

Wenn Sie mit einem sich formierenden Team beginnen — nur dann starten alle auf Augenhöhe und ohne gemeinsame Geschichte. Das kommt vor, ist eher selten. Dann haben Sie Glück gehabt. Sie wachsen mit dem Team.
 
Häufiger ist es, dass sich das Team wenigstens einmal neu formierte, Menschen hinzukommen oder das Team verliessen. Vielleicht sind Sie auch nicht der/die erste Agile Coach.
 
Was geschah mit Vorgängern?
 
Gingen die von sich aus oder hat etwas gezwickt? Was?
Darf darüber gesprochen werden? Wird kaschiert oder Klartext gesprochen?
 

Klären, was man selbst kann — und was noch nicht.

Klären Sie offen, was Sie gut können, was Ihnen leicht fällt und was Sie noch besser lernen möchten.

  • Wie sehen Sie selbst Ihre eigene Rolle als Agile Coach?
  • Wo beginnt und vor allem: wo endet Coaching?

 

Was sind beispielhafte Themen, die Sie nicht anfassen wollen oder noch nicht sicher beherrschen?

Was erwartet Ihr Team vom Agile Coach?

Kommen Sie zu einem bestehenden Team hinzu, dann wird es Gewohnheitswerte geben: was der/die vorige Agile Coach machte oder eben nicht.
 
Es ist immer besser offen zu besprechen und zu wissen, was das Team erwartet als unausgesprochen Reaktionen zu interpretieren.
 
Die Frage ist einfach: Wie kann ich Euch helfen — was braucht Ihr?

Wie leben Sie dienende Führung, servant leadership — oder spielt das (weshalb?) hier gerade keine Rolle?

  • Soll ich die Agenda setzen oder abwarten was sich ergibt?
  • Welche Methoden und Praktiken wende ich wann an — und unter welchen Randbedingungen? Adrenalin-Bonus: was, wenn das Team nicht mitspielt?
  • Wie gehe ich um mit offener oder verhaltenem Widerstand …?
  • Bin ich eher teacher oder gamer? Ist mir Vortrag oder Gamification, Übungen, Spiele lieber?

Methoden und Interventionen offenlegen​

Sie können einen Ausblick geben mit welchen Formaten und Methoden Sie in welchen Situationen gute Erfahrungen machten.

Wie Sie mit Refinements umgehen, wie Retros aussehen können, wie Sie Rituale pflegen oder was Sie selbst weiter gebracht hat.

Was waren Ihre Wow-Momente — als etwas leicht und gut gelang?

Oder Sie geben Hinweise, zu welchen Zeiten Sie welche Angebote machen werden. Lyssa Adkins hat dazu ein schönes Bild gemacht:
 
Wann in der Sprint-Kadenz geschieht Coaching?

Gefühle? Ängste? Her damit ...

Über die eigenen Gefühle zu sprechen mag im professionell-effizienten ‘business context’ verwegen sein — die Alternative es nicht zu tun ist fahrlässig: Was wir bei uns selbst erfühlen und bei Anderen vielleicht beobachten können, sind professionelle Stereotypen.

Allenfalls ahnen können wir den Eisberg an Emotionen, deren Auftrieb die Glaubenssätze über Wasser hält. Als Coach sind Sie mittendrin — die Wasserlinie ist noch unklar.

Verdrängung ist, was uns über Wasser hält.
Verdrängung ist, was uns über Wasser hält.

Es hilft, auf eigenen inneren Monologe und negative Ideen zu achten.

Sanfte Befürchtungen und Lampenfieber sind förderlich um eigene Lernfelder kennen zu lernen. Wenn Sie schon sehr mutig sind: teilen Sie das eigene Lampenfieber mit dem Team.

Schwieriger wird es, wenn ängstlich-negative Gedanken sich aufschaukeln und zu hemmenden Spiralen werden. Dann könnten Sie mit anderen Coaches sprechen und eine Supervision anstossen. Suchen Sie sich eine:n, dem Sie sich öffnen wollen.

Die eigenen Bedürfnisse kennen. Und die blinden Flecken.

Helfen kann auch der einfach zu merkende doch viel schwerer umsetzbare Viersatz von Marshall Rosenberg:

  1. Beobachte Tatsachen ohne Bewertung.
  2. Benenne deine Emotionen angesichts der Beobachtungen.
  3. Formuliere deine Bedürfnisse und Werte, durch die deine Emotion entstand.
  4. Stelle eine Bitte um dein Bedürfnis zu bedienen.

Da steckt Verletzlichkeit drin und Verletzbarkeit. Was geschehen kann, ist Offenheit, gemeinsames Lernen und wechselseitiges Verständnis in beide Richtungen: vom Trainer/Coach zum Team und wieder zurück.

Geht es nicht genau darum?

Andere coachen, trainieren, führen, leiten … wird einfacher, wenn es leicht geht. Leichter geht es, wenn man lernt, seine eigenen Gefühle und Beobachtungen zu kennen.

Das können gute Agile Coaches.