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digitalien.org — Stefan Knecht
Die Bewertungssaison läuft! Jedem braven Angestellten winkt ein jährliches ‘Mitarbeitergespräch’. Nach einem Gesprächsleitfaden befragt ein Angestellte/r eine/n anderen. Ergebnis ist eine Notiz in der Personalakte. Längst ist ausgeforscht, wie sinnlos und kontraproduktiv[1] das jährliche HR-Ritual ist, noch dazu teuer[2] und von jedem ungeliebt:[3] Motive und Erwartungshaltungen sind verschieden, keiner kommt neutral und ohne Vorerfahrung.
Die beiden Pflichtsprecher eint nur eines: diesen lästigen Termin hinter sich bringen.
Wofür also geschieht dieses Ritual?
Mitarbeiter und bewertende Vorgesetzte haben verschiedene und vor allem versteckte Ziele — was die Ergebnisse verfälscht oder missbräuchlich verwenden lässt.[4]
Verhalten aus erster Hand beobachten kann, wer Teil der gemeinsam arbeitenden Gruppe ist. Als teilnehmender Beobachter das eigene Ego und Verzerrungen herauszuhalten ist schon schwierig genug. Von ausserhalb der Gruppe ist alles Hörensagen, Spekulation aus bestenfalls zweiter Hand. Aus einem strukturierten Interviewfragebogen belastbare Daten zu gewinnen, ist für trainierte Pädagogen, Ethnologen, Therapeuten nicht leicht. Wie soll methodisch untrainierten Linienvorgesetzten das gelingen? Wie differenziert, auf welcher Skala geschieht Bewertung?
Um es sehr kurz zu machen: wir Menschen sind ernsthaft schlecht darin, die Leistung anderer fair und akkurat zu beurteilen. Mit Übung wird es ein wenig besser und bleibt dennoch schwierig. Belastbar wird es niemals.
Informiert man sich oberflächlich zu qualitativer Beobachtung und nur ganz kurz zu Messtheorie, wird schnell klar: strukturelle Denkfehler dominieren, wo objektive Bewertung das Ziel sein sollte.
Der Bias des Bewerters hat den grössten Einfluss auf das Rating.[5]
Kein Mensch und damit auch kein bewertender Vorgesetzter kann objektiv beurteilen da kognitive Denkfehler die valide Messung und den Vergleich von Ergebnissen über mehrere Mitarbeiter verhindern. [6]
Diese Wahrnehmungsfehler sind gut dokumentiert: Halo Effect[7], confirmation bias[8], Recency[9] und der similar-to-me-Effekt … mehr als 140 dieser Biases sind bekannt und kein Menschlein kann verlässlich entkommen. (»Frechheit! Ich sehr wohl! « — Herzlich willkommen beim Blind Spot Trap.[10])
Der bestens untersuchte similar-to-me-Effekt ist in Personalgesprächen eine hartnäckige kognitive Verzerrung: je ähnlicher sich Vorgesetzt/e und Mitarbeiter sind, um so besser fallen Bewertungen aus.[11] Gleich und gleich gesellt sich gern, der Volksmund weiss das längst. Natürlich beisst sich nicht nur das mit dem Streben nach diversity, möglichst verschiedene Erfahrungen, Kulturen und Sichten gemeinsam arbeiten zu lassen um voneinander zu lernen.
Die Passung eines Menschen zu allen anderen einer Gruppe wird tatsächlich im gemeinsamen Arbeiten, in der Kaffeeküche verhandelt, beim Plausch nach der Kantine: »passt nicht zu uns«, »mit dem hab’ ich Schwierigkeiten«, »eckt an« — soziale Keule macht die schlimmsten Beulen. So diffamierte und stigmatisierte sind angezählt und haben geringe Chancen, die Zuschreibung von Eigenschaften ungeschehen zu machen.
Was Du machst ist egal — so lange du beliebt bist. Mit karriereförderlichen Beurteilungen wird die Anpassung an sozialnormiertes Verhalten belohnt, nicht unbedingt Leistung: Brown nosing beats performance[12]. Doch geht es bei Performance Reviews nicht um genau das, die Leistung, für die Mitarbeitende ihre Zeit gegen Gehalt tauschen?
Die subjektive Beliebtheit (liking) hat einen höheren Einfluss auf die Leistungsbewertung als die tatsächliche Leistung.[13]
Abweichungen mag es bei Rollen geben, deren Leistung unmittelbar in Zahlen zu messen ist: verkaufte Verträge, gesägte Bretter, geschaufelte Schubkarren. In der Wissensarbeit gibt es diese objektive Messbarkeit nicht. Aber … aber wenigstens Feedback geben, Rückmeldung? Kann man damit nicht ein Mitarbeitendengespräch wertvoll machen?
Feedback gehört dem Mitarbeiter, nicht dem Unternehmen, nicht HR. Wenn sich Kollegen vertraulich Feedback geben, dann bleibt das genau dort.[14]
Feedback wird von anderen im Vertrauen erfragt und ist ein Geschenk an Verletzlichkeit und Offenheit — keine Disziplinarmassnahme.[15] Es ist unethisch, Inhalte aus vertraulichem Feedback zu einem Instrument der Leistungs- oder Passungsmessung umzuwidmen. Genau dieser Mißbrauch geschieht, wenn aus einem persönlichen Gespräch eine Sicht als Notiz in die Personalakte gelangt.
Weshalb dann überhaupt Mitarbeitergespräche und weshalb nur einmal im Jahr? Weshalb nicht einmal monatlich oder gleich jeden Tag im daily, wenn in agileren Formaten zusammen gearbeitet wird?
Die unausgesprochene Grundannahme für den Einsatz schriftlicher Bewertungen (appraisals) und Zielvereinbarungen ist eine ganz andere:
Leistungsbeurteilung ist ein starkes extrinsisches Motivationsinstrument, das davon ausgeht, dass man dem Mitarbeiter nicht zutraut, seine eigene Motivation intrinsisch zu steuern, und stattdessen auf Zuckerbrot und Peitsche setzt. Bonus und Beförderung sind das Zuckerbrot. Bewährung und Kündigung sind die Peitsche. [16]
Menschen müssten mit Zielen motiviert werden — sonst würden sie nicht ordentlich arbeiten. Diese Sicht entstammt einem Menschenbild aus der Mottenkiste des letzten Jahrhunderts. McGregors Typ X/Y kombiniert mit einem aus dem Zusammenhang interpretierten, halb verstandenen Taylorismus. Seit mehr als 40 Jahren längst widerlegt ist McGregor doch nicht aus den BWL-Curricula und HR-Köpfen zu kriegen. Das Bild ist so wunderbar einfach wie falsch.
Zielvereinbarungen — wenigstens die taugen doch …? Darunter liegt die Hypothese, es gäbe eine direkte Beziehung zwischen der persönlichen Leistung und der Schwierigkeit, das Ziel zu erreichen: je schwieriger das Ziel, desto höher die Leistung? Leider auch nicht:
Menschen, die sich selbst ein Ziel setzen, erreichen dieses besser als jene, die nur versuchen, ihr Bestes zu geben.[17]
Ziele schaden nicht, tragen aber auch nicht zu höherer Leistung bei. [18]
Extrinsische, von aussen kommende Motivation durch rigide Zielvereinbarungen und die gekoppelte Aussicht auf anteilige Boni am Jahresende verpufft schneller als das obligatorische Jahresgespräch zu Ende ist — intrinsische Motivation ist das Wofür des eigenen Tuns und wirkt jeden Tag aufs Neue: weil es vielleicht Freude macht und man selbst will.
Das ist der entscheidende Unterschied agilerer Organisation zur Lesart konventioneller Führung: man kann nur sich selbst motivieren, niemals andere.
Andernfalls versuchen Sie das doch mit Ihren Kindern, dem Partner … und wenn es klappt: verraten Sie uns, wie?
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