digitalien.org — Stefan Knecht
Behauptungen, Meinungen, Argumente.
Meinung darf und soll jede:r haben. Behauptungen sollten mit nachvollziehbaren Argumenten gestützt sein.
FLOATER ist ein ‘Prüfverfahren’ um Behauptungen zu durchleuchten.
Ausgangspunkt ist eine epistemische Haltung, skeptisch den eigenen Deutungen gegenüber und ständig nach neuen Perspektiven auf vermeintlich bekannte Sachverhalte und Überzeugungen suchend:
Auf digitalien gibt es weitere Beiträge zum gleichen Thema:
»Was ohne Beweise behauptet werden kann, kann auch ohne Beweise verworfen werden.« —Christopher Hitchens
FLOATER[2] steht für Falsifizierbarkeit, Logik, Objektivität, alternative Erklärungen, temporäre/vorläufige Schlussfolgerungen, Beweise und Replizierbarkeit. Es ist eine Weiterentwicklung des FiLCHeRS-Modelles.[3]
Sieben Prüfschritte sollten durchlaufen werden, um eine Behauptung auf ihren Gehalt zu prüfen.
Falsifizierbare Behauptungen können durch Beweise widerlegt werden. Es muss möglich sein, einen Beweis zu finden, der die Behauptung widerlegt. Wenn die Behauptung wahr ist, können Beweise sie nicht widerlegen. Gelingt eine Widerlegung nicht, dann kann diese Behauptung als vorläufig wahr akzeptiert werden.
Unfalsifizierbare Behauptungen sind immun gegen Beweise. Sie könnten wahr sein, da es aber keine Möglichkeit gibt, die Behauptung zu überprüfen, sind alle “Beweise”, die die Behauptung zu stützen scheinen, nutzlos.
Vier Arten von Behauptungen sind nicht falsifizierbar:
Falsche Überzeugungen werden geschützt, indem Wege gefunden werden, sie unbeweisbar zu machen, Beweise geleugnet werden oder die Behauptung als “Meinung” bezeichnet wird.
So kann eine Hellseherin eine ungenaue Prognose damit abtun, dass ihr “Energielevel” zu niedrig war. Oder ein Akupunkteur entschuldigt eine unwirksame Behandlung damit, dass die Nadeln nicht richtig entlang der Meridiane des Patienten platziert wurden. Verschwörungstheoretiker behaupten, dass unterstützende Beweise vertuscht und widersprüchliche Beweise untergeschoben wurden.
Falsifizierbarkeit bedeutet: Beweise sind wichtig. Eine nicht widerlegbare Behauptung ist deshalb nicht zwingend wahr.
Die Argumente für die Behauptung müssen logisch sein.
Argumente bestehen aus einer Schlussfolgerung (Behauptung) und einer oder mehreren Prämissen, die Beweise oder Unterstützung für die Behauptung liefern. Die Schlussfolgerung ist also eine Überzeugung, und die Prämissen sind die Gründe, warum wir diese Überzeugung haben. Viele Argumente enthalten auch notwendige versteckte oder unausgesprochene Annahmen damit die Schlussfolgerung wahr ist — und die daher bei der Bewertung von Argumenten erkannt werden müssen.
Es gibt zwei Arten von Argumenten, die sich im Grad der Unterstützung für eine Schlussfolgerung unterscheiden.
Deduktive Argumente bieten schlüssige Unterstützung für die Schlussfolgerung. Sie sind gültig, wenn aus den Prämissen die Schlussfolgerung folgen muss und stichhaltig, wenn das Argument gültig ist und die Prämissen wahr sind. Damit die Schlussfolgerung als wahr angesehen werden kann, muss das Argument also sowohl gültig wie stichhaltig sein.[9]
“Gültig” bedeutet in der Gebrauchssprache “wahr”. In der Argumentation bedeutet gültig jedoch, dass die Schlussfolgerung aus den Prämissen folgt, unabhängig davon, ob die Prämissen wahr sind oder nicht.[10]
Induktive Argumente bieten verschieden wahrscheinliche Unterstützung für die Schlussfolgerung. Im Gegensatz zu deduktiven Argumenten, die eine Schlussfolgerung garantieren, wenn das Argument sowohl gültig als auch stichhaltig ist, bieten induktive Argumente nur unterschiedliche Grade der Unterstützung für eine Schlussfolgerung. Induktive Argumente, deren Prämissen wahr sind und eine angemessene Unterstützung bieten, gelten als stark, während solche, die keine angemessene Unterstützung für die Schlussfolgerung bieten, als schwach gelten.[11]
Logische Irrtümer sind Argumentationsfehler, die ein Argument abschwächen oder ungültig machen. Häufig sind:
Die Beweise für eine Behauptung müssen aufrichtig bewertet werden. Jeder ist anfällig für Denkfehler, die zu falschen Schlussfolgerungen verleiten können. Bedrohen Beweise eine tief verwurzelte, für unsere Identität wesentliche Überzeugung, dann suchen wir eher nach bestätigenden Belegen und ignorieren gegenläufige. Den eigenen Denkfehlern oder Biases gegenüber sind wir blind.
“Der erste Grundsatz ist, dass man sich nicht selbst täuschen darf, und man selbst ist am Leichtesten zu täuschen.” — Richard Feynman
Die häufigsten kognitiven Denkfehler (Biases) sind:
Objektivität ist das vermutlich schwierigste Gebot. Kognition umfasst auch die Tendenz der Selbsttäuschung und Verstärkung persönlicher Überzeugungen und mittelbar zur Stärkung sozialer Bindung an Gruppen.
Beide gehen von einer gewünschten Schlussfolgerung aus, arbeiten sich rückwärts vor und selektieren dabei unterstützende Beweise und ignorieren Widersprüche. Es gibt jedoch entscheidende Unterschiede:
Pseudowissenschaftliches Denken sind Überzeugungen oder Praktiken, die als wissenschaftlich dargestellt werden, es aber nicht sind. Sie sind durch den Wunsch motiviert, etwas für wahr zu halten wenn und weil es mit den bestehenden Überzeugungen oder Wunschdenken übereinstimmt. Die Anforderungen an die Qualität von Belegen ist folgerichtig sehr niedrig.
Wissenschaftsverweigerung leugnet anerkannte wissenschaftliche Erkenntnisse weil diese mit der eigenen Identität oder Überzeugungen kollidieren. Die Anforderungen an Belege werden unerreichbar hoch angesetzt.[13] In beiden Fällen ist der Glaube im Recht zu sein und der Wunsch, eigene Überzeugungen zu schützen so stark, dass die eigenen Denkfehler nicht erkannt werden.
Für eine objektive Bewertung von Beweisen ist damit auf den eigenen Denkprozess zu achten. Beachten Sie alle Belege — auch und gerade die widersprüchlichen. Wenn die Beweise dafür sprechen, ändern Sie Ihre Meinung. Es hilft, die eigene Identität zu kennen und von eigenen Überzeugungen zu trennen: zuwiderlaufende Belege fühlen sich dann nicht wie ein persönlicher Angriff an. Auch hilft, sich nicht in ein Meinungslager zu begeben sondern sich wie ein Schiedsrichter zu verhalten.
Andere Erklärungsmöglichkeiten für Beobachtungen müssen in Betracht gezogen werden auch wenn die favorisierte Erklärung von einer vertrauten Person stammt oder zu den eigenen Überzeugungen passt.
Was könnte noch die Ursache sein? Könnte es mehr als eine Ursache geben? Oder könnte es sich um einen Zufall handeln? Es gilt, viele (falsifizierbare) Erklärungen zu betrachten und jede dieser Erklärungen mit Belegen objektiv zu widerlegen. Was ist die wahrscheinlichste Erklärung? Hilfreich ist Occams Rasiermesser:
Die wahrscheinlich richtige Erklärung ist jene, die die wenigsten neuen Annahmen erfordert.
Außergewöhnliche Behauptungen benötigen auch außergewöhnliche Beweise.[14]
Wissenschaftlich Denken heisst: jede Schlussfolgerung kann sich mit neuen Beweisen ändern. Wissenschaftliche Schlussfolgerungen sind immer vorläufig. Jede weitere Studie ist ein Teil eines größeren Puzzles mit unbekannt vielen Teilen, das mit jedem Teilchen klarer wird und Unsicherheit verringert.
Einige wissenschaftlich gewonnenen Schlussfolgerungen sind stabiler als andere. Erklärungen, die durch eine große Anzahl von Beweisen gestützt werden, sind Theorien. Da die Beweise für viele Theorien so überwältigend sind und von vielen verschiedenen unabhängigen Forschungslinien stammen, ist es sehr unwahrscheinlich, dass sie widerlegt werden – auch wenn sie mit neuen Beweisen möglicherweise angepasst werden.
Dies bedeutet nicht, dass wissenschaftliche Erkenntnisse unglaubwürdig sind. Im Gegenteil: Wissenschaft beruht auf Bescheidenheit und der Bereitschaft und Fähigkeit zu lernen. Zum kritischen Denken gehört auch zu lernen, mit Mehrdeutigkeit und Unsicherheit umzugehen. Wissen ist nicht schwarz oder weiß sondern ein Grauspektrum.
Beweise für eine Behauptung müssen zuverlässig, umfassend und ausreichend sein. Je mehr und je besser Belege sind, desto eher kann eine Behauptung akzeptiert werden. Die Qualität von Evidenzen wird nach diesen Überlegungen beurteilt:
Mit welcher systematischen Methode wurden die Belege generiert? Studien unterscheiden sich qualitativ. Anekdoten und Erfahrungsberichte sind am wenigsten zuverlässig und nie ausreichend. Beobachtungen sammeln Daten aus der realen Welt und können Korrelationsbeweise bieten, kontrollierte Studien können Kausalbeweise liefern. Höchste Evidenz haben Meta-Analysen und systematische Übersichten, die das Gesamtbild aller vorliegenden Fakten betrachten.
Die zuverlässigsten Quellen sind Fachzeitschriften mit Peer-Review, seriöse wissenschaftliche Organisationen und staatliche Einrichtungen. Die zweitzuverlässigsten Quellen sind hochwertige journalistische Veröffentlichungen, die nachweislich genau berichten. YouTube-Kanäle gehören nicht dazu, ebenso wenig Social Media ohne Quellenangabe. Fachexperten mit Hintergrundwissen sind qualifizierter als Laien. Wenn Experten einen Konsens erzielt haben, ist dies das zuverlässigste Wissen.
Ein einziges Puzzleteilchen, eine einzige versehentlich oder absichtlich selektierte Studie kann das wahre Gesamtbild verzerren.[15] Sehr starke Schlussfolgerungen entstehen durch unabhängige und konsistente Beweislinien.
Um die Wahrheit einer Behauptung zu beweisen, müssen die Beweise ausreichend sein. Behauptungen, die ohne Beweise aufgestellt werden, bieten keinen Grund zur Annahme und können zurückgewiesen werden. Außergewöhnliche Behauptungen erfordern außergewöhnliche Beweise. Grundsätzlich gilt: Je unplausibler oder ungewöhnlicher eine Behauptung, desto mehr Beweise sind erforderlich, um sie zu akzeptieren.[16] Behauptungen begründet allein auf der Autorität einer Person sind niemals ausreichend: Fachwissen ist wichtig und gerade Experten sollten Beweise vorlegen. “Weil ich es sage” und Anekdoten sind nie ausreichend. Persönliche Geschichten können ebenso eindrucksvoll wie unzuverlässig sein.
Replizierbarkeit bedeutet in einfachster Lesart, unabhängig von Experimentator und Methode zu einer ähnlichen Schlussfolgerung zu gelangen und so Zufälle, Fehler oder Betrug zu verhindern.
Ziel von Wissenschaft ist es, die Natur zu verstehen. Die Natur ist konsistent; daher sollten auch Versuchsergebnisse konsistent sein. Durch mehrere Studien unabhängig generierte Ergebnisse sind verlässlicher.
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Die wahrscheinlich richtige Erklärung ist jene, die die wenigsten neuen Annahmen erfordert.