digitalien.org — Stefan Knecht

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Ist wahr, was Du glaubst? 6 Fragen an dich selbst.

Behauptungen, Meinungen, Argumente. Darunter klebt gerne ein Glaubenssystem, das sich hartnäckig der Prüfung sträubt. Glauben ist praktisch und ökonomisch: was geglaubt wird, muss nicht immer wieder geprüft und in Frage gestellt werden. Ein bisschen wie Stahlbeton. Der wird auch erst mürbe, wenn die Bewehrung im Inneren rostet.

Es hilft also, die eigenen Glaubenssätze freundlich-skeptisch zu prüfen. In nur sechs Fragen kann das geschehen.

edit: wie sich in einem kleinen Live-Experment zeigte — ganz so einfach ist es nicht. Die sechs Schritte haben Webfehler und könnten die erwünschte Skepsis nicht zuverlässig erzeugen.

FLOATER — Behauptungen nüchtern prüfen bietet sieben Schritte für den einfacheren Teil. Das eigene Glaubenssystem liegt tiefer und speist unwillkürlich die eigenen Behauptungen. Da kann man vorsichtig sein.

Auf digitalien gibt es weitere Beiträge zum gleichen Thema:

 

Was an Behauptungen dran ist, helfen sieben Perspektiven zu prüfen: Falsifizierbarkeit, Logik, Induktion/Deduktion, Argumentationsfehler, Objektivität der Bewertung und Wissenschaftlichkeit. Sie hängen zusammen und sind nicht MECE (Mutually Exclusive — Completely Exhaustive).

Behauptungen und Glauben

Bei der Prüfung »Ist wahr, was ich glaube?«, tauchen diese Perspektiven wieder auf. Schön zusammengefasst ist das hier und folgend adaptiert.

Glaubenssätze sind das ‘ist halt so’, damit die grundlegende Quelle für Verhalten und Aktionen. Lohnt sich vielleicht, das ab und an ins Labor zu geben.

Warum?

Weil die eigenen Behauptungen oben schwimmen, wie Seerosen auf dem Tümpel.

Das Seerosenbeispiel ist von Edgar Schein entliehen. Diese Pflanzen schwimmen nicht einfach so auf dem Wasser: sie wurzeln in Überzeugungen und Glaubenssätzen, tief unten im unbewussteren Schlamm.

Überzeugungen sind also Glaubenssätze und nähren sich aus dem Trüben weiter unten. Da ist weniger Licht.

Also eine einfache, nein, nicht ganz einfache Übung:

Stelle Dir etwas vor, von dem Du glaubst, dass es wahr ist

(Es ist dabei fast gleich, was genau dieser Glauben ist. Nimm’ etwas eher Beiläufiges, vielleicht nicht gleich zum Start ‘Gott und die Welt’.)

  1. Wie sicher bist Du, dass Dein Glauben wahr ist? (0-100%)
  2. Was ist die Quelle Deiner Überzeugung?
  3. Was sind die Gründe für Deinen Glauben?
  4. Wie kannst Du herausfinden, dass es wirklich wahr ist?
  5. Was fühlst Du, wenn klar wird, dass Du falsch liegst?
  6. Welche Beweise würden Deinen Glauben ändern?

Schritt 1 ist der ice breaker: niemand fragt sich ohne Anstoss, ob der eigene Glaube wahr ist? Ein gläubiger Christ ebensowenig wie eine Projektleiterin mit 20 Jahren Erfahrung auf dem Buckel. Bei der Quelle der Überzeugung wird es schnell dünn. Was würde ein Christ als Quelle angeben können, was ein Projektleiter?

Die Gründe für den eigenen Glauben führen hinab in die Vorhölle: da sind vermutlich keine. Die eigene Überzeugung isoliert sich gegen peinvolle Fragen.

Das Blöde ist nun, dass unsere Kognition (neben vielen anderen strukturellen Denkfehlern) im confirmation bias am Liebsten Belege für einen gefassten Glauben findet und alles, das dagegen sprechen könnte, zielsicher ignoriert und sofort ausblendet. Oder anekdotisch eigene Erfahrungen generalisiert. Beispiel »… aber die Globuli halfen doch, als die Kinder diesen schlimmen Durchfall hatten.« Eine Anekdote wird so zu einer ungeprüften und unprüfbaren Tatsache.

Wenn wir uns selbst in Frage stellen, wird die Welt unberechenbarer: Wir müssen uns eingestehen, dass sich die Tatsachen geändert haben und dass das, was einst richtig war, nun falsch sein kann. Etwas zu überdenken, an das wir fest glauben, kann unsere Identität bedrohen und uns das Gefühl geben, einen Teil von uns selbst zu verlieren.

Der Trick um nur den Bestätigungsbias auszuhebeln ist, systematisch nach Belegen zu suchen, die dem eigenen Glauben widersprechen. Mühselig, gegen den eigenen Strom schwimmen, das macht man eher ungern.

Schritt 5 ist fast vorhersehbar: niemand liegt gerne falsch. Wie soll man sich schon fühlen, wenn klar wird, dass man falsch liegt und der eigene Glaube auf Sand gebaut ist? Miserabel natürlich, beschämt.

Diese Übung ist also schmerzhaft.

Vielleicht lassen wir das lieber und glauben weiter: Pyramiden stehen ja wenigstens eine zeitlang recht stabil.

 

Apropos Pyramiden: da gibt es eine schöne, die eine Hierarchie von Denkstilen aufbaut. Ganz unten liegt der Glauben, schier erdrückt von alternativen Denkstilen. Oder anders gerahmt: aus dem Glauben wächst alles andere.

Es ist verwirrend.

Hierarchie von Denkstilen
Hierarchie von Denkstilen

Die Pyramide der Denkstile ist entnommen und adaptiert nach Grant, Adam M. 2021. Think again: the power of knowing what you don’t know. New York, New York: Viking. 978-1-984878-11-3

Ausprobiert und ... zurückgerudert

In einem kleinen Live-Experiment in einer kleinen Gruppe der Expedition Arbeit wurde dieses Vorgehen in sechs Schritten geprüft. Eine kleine Stichprobe nur mit zwei Glaubenssätzen. Der Ausgang war nicht wie erwartet.

Rudern und Zurückrudern

Wiebke Wetzel beobachtete:

  • Schritt 2 und 3 sind nicht sauber getrennt
  • Punkt 4 ist für Glaubende sinnlos und nur schlüssig für Zweifelnde
  • Frage 5 (was fühlst Du, wenn …) ist trivial abzuschmettern
  • und Frage 6 wird einen immunisierten Glaubenden nicht drehen

 

Damit hat Wiebke Recht. Diese sechs Fragen sind kein treffsicherer Katalysator.

Danke!

 

Quellen

Grant, Adam M. Think again: the power of knowing what you don’t know. New York, New York: Viking, 2021.