digitalien.org — Stefan Knecht

Bärte, Röcke, Management: Wie Management-Blockbuster entstehen

Moden kommen still, sind kurz laut und schon wieder weg. An Pubertierenden ist die Vergänglichkeit von Moden leicht beobachtbar: aufgerissene Jeans wechseln sich ab mit hüfthohen Stoffhosen, auf weisse Basketballschuhe folgen Springerstiefel, auf grüne Haare kurze.

Doch können wir davon einiges lernen: Wie konstruiert man einen Management-Blockbuster? Mit ein paar notwendigen Abschweifungen können Sie hier das Rezept einsehen. Einfach machen!

Wie Kleidungsmoden losen Regeln folgen, geben sich auch im Management Schlagwörter und Trends die Klinke in die Hand. Wie Moden helfen, die eigene Persönlichkeit zu differenzieren, signalisiert die Übernahme neuer  Managementmethoden, dass man nicht im BWL-Examen stehen geblieben ist.

Für das eigene Outfit gilt wie im Management: Moden sind sinnstiftende Methoden der Realitätskonstruktion[1] und damit öffentlich ausgetragene, kooperative Spiele.[2]

Drei Theorien zur Mode

Für Kleidungsmoden gibt es drei bekanntere Theorien[3]:
  1. die trickle-down theory:[4] untere soziale Klassen imitierten die Gebräuche der höheren was jene zwingt, sich laufend anders zu kleiden um Differenzierung unten/oben und damit die bestehende soziale Distanz aufrecht zu erhalten.
  2. die collective selection theory:[5] Auswahlmöglichkeiten werden durch Kosten oder Verfügbarkeit reduziert und gewähren wenigstens für einen absehbaren Zeitraum Stabilität.
  3. die marionette theory[6] erklärt Moden als das natürliche Ergebnis des Kapitalismus, als die Manipulation des Konsumenten durch Massenmedien, Werbung und Hersteller weil alle Teilnehmer von immer neuen Modewellen profitieren.

Moden funktioniert also so lange, wie alle Teilnehmenden einer in-group davon Nutzen haben. Alle drei oben angeführten Modetheorien tragen das im Kern. Aufmerksamkeit wandert weiter, sobald eine nächste Methodenmode noch mehr Differenzierung, Effizienz oder Zeitgeist verspricht.

In der Manege der Differenzierung: das Arena-System

Eine Managementmode ist als Arena angelegt, in der sich verschiedene Gruppen von Teilnehmern tummeln — Berater, Professoren, Manager, Redakteure von Managementzeitschriften, Verleger, kommerzielle Seminarveranstalter (…)[7]
Alfred Kieser Als der Organisationstheoretiker und Wirtschaftswissenschaftler Alfred Kieser den Begriff ‘Arena’ 1980 wählte, da konnte er nicht ahnen wie umfassend tragbare Fernsprechapparate und allwissende Suchmaschinen beschleunigen würden. Mit Twitter, LinkedIn und den Influencern der digitalen Aufmerksamkeitsökonomie[8] verliert diese Manege ihre Aussengrenzen und wird zur selbstverstärkenden Echokammer, zur bubble. Der Grund ist nahe liegend: weil niemand gerne profil-los dastehen möchte, entwickelt die Arena als in-group einen Sog. Dabei sein ist mehr als zusehen. Mit Management- und Organisationsmethoden funktioniert diese Selbstverstärkung reibungslos. »Wie? Sie arbeiten noch im Wasserfall? Nie was gehört von New Work und agil?«. Ein dankbares Perpetuum Mobile.

Differenzierung + Plausibilität = anschlussfähige Resonanz

Die Währung auf dem Spielfeld der Managementmoden ist anschlussfähige Rhetorik. Das ist die kommunikative Fähigkeit bei Problemen, die nicht allein durch schlüssige Beweise[9] gelöst werden können, einen Konsens herbeizuführen. Diese Übereinstimmung muss niederschwellig sein um in der Aufmerksamkeitsökonomie wahrgenommen zu werden. Für einen Konsens kann es ausreichen, wenn eine neue Managementmethode hinreichend plausibel scheint und harte Belege nicht nachgefragt oder notwendig vorgelegt werden müssen: es reicht die Behauptung einer prominenten Figur.[10] Anschlussfähig ist, wenn Spielteilnehmer mindestens eine Veränderungsnotwendigkeit und eine gemeinsame Sprache teilen um die neue Mode als Iteration eines unbefriedigenden alten Zustandes akzeptieren. Anschluss gelingt also leichter, je näher ‘das Neue’ am Bekannten ist und Bekanntes nur sanft variiert.

Lieber zu ähnlich als zu verschieden

Zu kräftige Differenzierung des Neuen vom Bekannten erschwert Koppelung oder Resonanz.[11] Radikale Sprunginnovationen im Management geschehen daher erfolgreich nicht in der Arena kooperativer, öffentlich-sozial ausgetragener Spiele. Wenn es radikale Wandlungen denn überhaupt gibt. Ein fast tragisches Beispiel ist Beyond Budgeting[12], ein konzertiertes Vorgehen für rollierende Finanzplanung und Controlling mitsamt übersichtlich einfacher Implementierung. Für die Regeln der Arena und ihre Teilnehmer war die radikale Planung auf Sicht zu weit weg vom Gewohnten. Anders als bei Scrum sind die Effizienzgewinne sogar für grosse und multinationale Konzerne gut belegt. Die anschlussstiftende Resonanz in der Arena konkurrierender Managementmethoden gelang für Beyond Budgeting nicht. Was nicht bedeutet, dass Beyond Budgeting als Methode nicht Fuß fasst: das geschieht sehr wohl, nur eben nicht laut in der sozialen Arena sondern still in Unternehmen, deren Protagonisten an den Mechanismen der Arena kein Interesse haben. Kein Interesse haben müssen weil sie ihren Lebensunterhalt nicht beratend verdienen. Ein gewichtiges Beispiel für eine erfolgreiche Sprunginnovation ist Equinor, die frühere staatlich-norwegische Statoil. Im Mai 2005 wurde traditionelle Budgetierung beendet und Beyond Budgeting eingeführt. Equinor hat mehr als 20000 Mitarbeitende, ist also kein kleiner Fisch im Unternehmensteich.

Wie Neues sich verbreitert

Die Verbreitungs- oder Diffusionsmechanismen des Neuen sind empirisch mit der Rogers-Kurve modelliert[13]. Modewellen für Barttracht[14], Rocklängen[15] oder Managementmoden[16] verlaufen verblüffend ähnlich nach diesem Schema. Rogers: Diffusion of innovations Es geht dabei nicht um Kommastellen sondern um die die grobe Kategorisierung und Fünftelung. Das Flächenintegral unterhalb der Kurve zur x-Achse modelliert die Durchdringung eines Publikums. Addiert man diese Flächen, so entsteht die gestrichelte Linie als ‘Durchdringung der Population’ oder im Beispiel einer neuen Managementmethode als ‘Welcher Anteil der Arena kauft die Erzählung?’. Addiert man Initiatoren, Innovatoren, early adopters, die frühe Mehrheit bis zum Scheitelpunkt, ist die Hälfte der Gesamtheit abgedeckt und der Mainstream erreicht. Von links nach rechts gelesen geschieht diese Entwicklung ungefähr so: Anfangs wagen wenige Mutige eine neue Managementmethode. Es scheint (in deren Kontext) zu klappen und gute Ergebnisse werden berichtet. Bei hinreichender Resonanz pflanzen sich rhetorische Muster fort und die ‘frühe Mehrheit’ übernimmt das Narrativ. Der markierte Wendepunkt »The Chasm« am Ende des ersten Drittels der Kurve ist der Moment, an dem eine Managementmode am Mainstream kratzt. Rechts des Scheitelpunktes, repräsentiert als die Hälfte der Integralfläche, sind die Soziotypen der ‘späten Mehrheit’, die sich eher konservativ und in der Wortbedeutung bewahrend verhalten. Sie bleiben lieber bei bekannten Methoden und folgen Trends zögerlich. Mit der Zeit verliert die dann nicht mehr brandneue Methode diesen Neuigkeitswert und das Potenzial ist erschöpft. Unweigerlich folgt die nächste Welle mit einer leicht adaptierten Erzählung.

Kleine Parade der Managementmoden

Nehmen wir schlaglichtartig die letzten wahrnehmbaren Strömungen. Es mag dazwischen weitere geben, geschenkt.
Managementmode Zeitraum
Qualitätszirkel Ende 1970er
Toyota-Produktionssystem Ende 1970er
lean production Anfang 1980er
Organisations- und Fehlerkultur Mitte 1980er
Business Process Reengineering Ende 1980er
Total Quality Management und Balanced Scorecard Anfang 1990er
lernende Organisation Anfang/Mitte 1990er
Scrum Mitte 1990er
Business Agility Ende 2010er
Was genau sich zwischen diesen Methoden tatsächlich verändert hat? Mit ein wenig zeitlichem Abstand: nicht viel. Die jeweils nachfolgende optimiert einen Aspekt der vorangegangenen Mode. Aus den Quality Circles Ende der 1970er Jahre (weniger Ausschuss! bessere Qualität!) wird das TPS für den Westen entdeckt, dann als dessen Kern lean production, Mitte und Ende der 1980er Jahre die logische Fortführung zu einem anderen Miteinander und dem aus-Fehlern-lernen. Das steckte wie TQM und Senges learning organization in lean/TPS bereits drin. Es wird lediglich übersetzt und angepasst kontextualisiert. Scrum und Business Agility wachsen aus den Schultern ihrer Vorgänger heraus. Jeweils gleiche Traube, neuer Wein, neue Gefäße.

Wie Management-Blockbuster erfunden werden: ein Rezept

Eric Abrahamson Seit mehr als dreißig Jahren ist auch ausgeforscht, welche Zutaten ein Management-Blockbuster braucht[17]. Danken Sie Eric Abrahamson. Wenn Sie also einen neuen Blockbuster erfinden wollen, hier ist das Rezept:
  • identifiziere einen blinden Fleck und bislang sträflich ignorierter Umstand.
  • dramatisiere sofortiges Handeln weil die drohende Krise ganz furchterregend ist
  • verweise auf geteilte Werte (auch: neues Denken oder mindset) – denn die stehen auf dem Spiel! Präsentiere dies als cleverer Mix aus Einfachheit und Mehrdeutigkeit[18]
  • finde eine Praxisentdeckung herausragender Führungspersönlichkeiten. Eine Prise Wissenschaft hilft der Glaubwürdigkeit
  • dränge auf schleunigste Umsetzung, die nur mit Experten möglich ist. Denn: wäre es einfach, könnte es jeder
Um zu einem Blockbuster zu werden, um Aufmerksamkeit zu erregen und so lange zu halten bis die early majority im Modell der Rogers-Kurve erreicht ist, muss ‘das Neue’ einfach und verständlich formuliert sein und anschliessen an das Bekannte. Also kurze Sätze und keinesfalls akademischer Jargon. Das koppelt mit gewohnten Wahrnehmungen und verschreckt nicht zu sehr. Der charismatische Initiator kommt aus der Praxis und formuliert für seine peer group, verwendet aus Sitzungen und Seminaren vertraute Formate und Charts. Es wird anschlussfähig angedockt, wie bei einem Lego-Stein weil die Noppen passen. Wesentlich und am Schwersten: das Timing muss passen, der Zeitgeist will zielgenau getroffen werden.[19] Diese Eigenschaften treffen die Bedürfnisse der Teilnehmer der Arena. ‘Blinder Fleck’ und ‘sofortiges Handeln’ erlauben emotionalisierten Alarmismus und lose Forderungen im sozialen Diskursraum. ‘Die Welt besser machen’, ‘die Zukunft der Arbeit gestalten’. Wer kann da dagegen sein? Die ‘geteilten Werte’ koppeln und gestatten Teilhabe, das Mitreden oder wenigstens das Signalisieren flüchtiger Zustimmung. ‘Herkunft aus der Praxis’ stiftet Vertrauen, die Referenz zu ‘Studien’ adelt den praktischen Handwerker. Die Nennung von ‘Experten’ wiederum öffnet die Tür für kommerzielle Dienstleistungen beliebiger Qualität. Riecht wie ein Teufelskreis? Ist auch einer.

Reichweite schaffen: Was macht zum Experten? (Schreibe ein Buch!)

Wenn Anschlussfähigkeit in einfacher und bekannter Sprache und nur sanfte Radikalität den Management-Buster machen: weshalb werden dann nicht ausnahmslos alle Methodenversuche zu Management-Blockbustern? Das ist einfach: weil die zugeschriebene credibility nicht wirkt. Glaubwürdigkeit für Organisations- und Managementmethoden ist auch 2022 nicht allein digital und mittels Hyperaktivität in sozialen Medien zu erwirtschaften. Es braucht ein Buch. Dieses eine Buch will geschrieben sein und das ist keine Kleinigkeit. Bücher schreiben sich nicht neben einem dayjob, neben Familienaufgaben und privaten Verpflichtungen. Es braucht Qualitätszeit und möglichst keine existenzielle Sorgen. Erst ein Buch macht den Autor zu einem Experten. Mit Referenz zu einem eigenen Buch ist die Glaubwürdigkeit in der Arena ohne weiteres begründbar. Ohne Buch nimmt das niemand ab. Schön zu beobachten ist das an der Sturzflut von Neuerscheinungen, die sich mit agilen Praktiken, mit New Work und weichen Themen der Personalgewinnung beschäftigen. Unwesentlich ist, ob mit einem weiteren Buch ursächlich Neues geschaffen wird oder länglich Bekanntes zweitverwertet und umgerubelt wird: erst die Verbindung des Namens mit einem Buch schafft Vertrauen und Solidität. Dessen inhaltliche Qualität, Anwendbarkeit und greifbarer Nutzen sind nachrangig. Buch geschrieben? Dann sorge dafür, dass dieses EINE Buch den Weg in die Arena findet. Sorge für Zustimmung, Applaus und lasse dich einladen zu Konferenzen, Round-Tables, schreibe Gastbeiträge bei jedem Blatt und Fachjournal. Nun fehlen nurmehr die Experten für die Umsetzung.

Beratungsunternehmen sind keine Experten. Professoren sind es. Ja?

Konventionelle Beratungsunternehmen bringt diese Mechanik zu Beginn eines Managementmodezyklus in eine missliche Lage. Um im Geschäft zu bleiben und als nachgefragte Experten zu erscheinen braucht es … mindestens dieses eine Buch. Am Besten mitsamt einer Celebrity, die das Gesicht dafür hergibt. Ein White Paper oder Fallstudien gelten in der Aufmerksamkeitswährung der Arena weniger, denn das kann jeder produzieren, auch nebenher.

Beratungsunternehmen stecken fest

Beratungsunternehmen leben von der Anzahl der fakturierten Tage ihrer Berater. Bei hoher Auslastung geschehen erkleckliche Gewinne. Sitzen Berater ‘auf der Bank’, dann verdienen sie kein Geld. Sind Berater die ganze Woche bei Kunden, dann haben sie aber keine Zeit um schlaue Bücher zu schreiben, denn an halben Freitagen kann das schwer gelingen oder es dauert zu lange, die Mode huscht ja schnell vorüber. Ist also in der Belegschaft niemand zu finden, dann braucht es andere Wege um kompetente Expertise und damit Differenzierung zu allen anderen Beratungsunternehmen zu vermitteln.[20] Denn die haben den neuen Buster auch gerochen und stellen sich auf. Jetzt kommen Professoren ins Spiel, selbst wenn diese weder originäre Forschung noch Einsichten ihres Fachgebietes vorzuweisen haben. Allein der akademische Titel bietet hinreichend Legitimation und Solidität, unabhängig vom beforschten Feld. Der Professor selbst (notfalls tut es auch ein Doktor) hat seinerseits Nutzen von einer Beteiligung: erweitert er die eigene Reichweite für das ureigene akademische Interesse, mit Praxisbezug etwa leichter Drittmittel für die Herkunftsforschung einwerben zu können. Was auch immer das sein mag, es tut auch nichts zur Sache: credibility braucht es für einen Blockbuster, auch wenn die Relevanz geringer ist.

Die Modewelle baut sich auf: Was geschieht derweilen in Unternehmen?

Innerhalb von Unternehmen haben einige der Akteure schon von neuen Wellen gehört. ‘New Work’, ‘Augenhöhe’, ‘Selbstorganisation’! Was auch immer es sein soll — die Umsetzung traut man sich alleine kaum zu, es handelt sich ja um Änderungen des Gewohnten. Das kann aufwändig und auch kompliziert werden, mit einem Rundschreiben jedenfalls ist es kaum getan: je größer die Organisation, desto langwieriger. Das liegt an der inhärenten Trägheit gegen Veränderungen oder dem Bestreben von Organisationen, eben möglichst wenig Veränderung zu tolerieren und den Status Quo beizubehalten. Eigenes Bordpersonal für die Umsetzung ist selten vorhanden. Neue Prozesse, Regeln oder Strukturen fallen damit stets in die Rubrik Restrukturierung oder change. Es beginnt ein fataler Prozess. Die Änderung in einen neuen Zustand wird als Projekt verstanden. Projekte kann man auf einen erwünschten Zielzustand hin managen. Jedes Unternehmen kennt ‘Projekte’ und damit ist das anschlusstauglich. Es gibt ein klares Ziel, ein Erfüllungsdatum und Budget. Damit das Neue eintritt, braucht es also Change Management von einem definierten Jetzt-Zustand zu einem angestrebten besseren Zustand. In der Sprache des auftraggebenden Unternehmens gilt es ‘ein Projekt zu managen’. Die Organisation benötigt also Projektmanagement. Da es sich um etwas Neues handelt, für das Unternehmen keine eigene Expertise haben können, wird diese Fähigkeit eingekauft von Organisations- oder Unternehmensberatungen, die für diese erst frische Managementmode eben erst Kompetenzen erworben haben und vielleicht schon durch Veröffentlichungen oder Konferenzen die Trommeln rühren. Vermutlich ist die Kompetenz in der Sache auch nachrangig, geht es doch um die Managementkompetenz, einen Wandel mit und gegen natürliche Widerstände in der Organisation zu realisieren. Und das können Beratungen, wenigstens wird ihnen genau das zugeschrieben.

Schwieriger wird es, je größer und prozesstreuer Organisationen sind

In Konzernumgebungen geschehen notwendigerweise weitere Komplexionen. Konzerne müssen starrer, noch veränderungsresistenter sein als kleinere Einheiten.[21] Das ist ihr Erfolgsrezept: möglichst viel und alles in Prozessen abzubilden, so dass bei gleichem Anlass immer das gleiche Ergebnis geschieht, Varianz und Variation verringern. Davon speisen sich Konzerne wie Banken, Versicherungen, Maschinenbauer oder Autohersteller: möglichst viel vom Gleichen macht ordentliche Margen. Je tiefer Veränderungen durch neue Managementmethoden in das Gewohnte eingreifen, um so weiter oben in der Hierarchie geschehen die Entscheidungen darüber, welche externen Dienstleister mit der Umsetzung betraut werden. Je besser die Reputation der beauftragten Beratung ist, um so eher wird ein Zuschlag erteilt. Reputation bedeutet hier, dass ‘die’ ‘etwas anderes’ in der Vergangenheit auch zur Zufriedenheit managen konnten. Dabei spielt es kaum keine Rolle ob ‘das andere’ auch nur näherungsweise mit ‘dem Neuen’ zu tun hat, so lange der Auftrag exekutiert wurde und ‘das Projekt’ ordentlich beendet wurde, also ‘in time’ und ‘in budget’. Wegen der regulierten und prozessualen Natur der Einkaufsprozesse großer Organisationen kaufen diese eher Leistungen auch bei wahrnehmbar großen Beratungen. Als preferred supplier, als bevorzugter Dienstleistungsanbieter bei der Einkaufsabteilung eines Konzerns gelistet zu werden, gelingt kleineren Beratungen oder Selbstständigen daher schwer. Seltene Ausnahmen mag es bei besonders spitzen, seltenen Kompetenzen oder bestehenden Beziehungs-Reputations-Verhältnissen zu dann ausserordentlichen Tarifen geben.

Kontrolle! Kontrollillusionen!

In Konzernumgebungen muss die Planung von Veränderungen (bei tiefer greifenden, neuen Managementmethoden um so mehr) deterministisch geschehen. Anders kann keine zeichnungsbefugte Person einen Vertrag unterschreiben. Es muss glasklar sein, was wann von wem bis wann geleistet wird. Es geht um viel Geld und weder die Revisionsabteilung noch Justiziare können unscharfe Vertragswerke gutheissen. Deterministisch heisst, dass ein definierter Zielzustand (‘das Neue ist eingetreten’) in Schritten, Zeiten und Ressourcen vorgeplant ist. Eingekauft wird damit konventionelles Projektmanagement als Kontrollillusion eines sozialen Prozesses. Zu diesem Moment steht das Vorhaben ‘Managementmethode einführen’, ‘Restrukturierung’, ‘agile Entwicklung’ noch weit entfernt davon, tatsächlich in reale Verhaltensänderungen umgesetzt zu werden. Also werden Arbeitspakete, Milestones mit Zeitpuffern imprägniert und Regelmeetings als check points ‘aufgesetzt’. Das Unternehmen kauft ein vertragliches Paket, mitsamt PMO (project management office). Das gibt Sicherheit. Die abstrakte Planung muss nun in der Belegschaft umgesetzt werden und Gestalt gewinnen. Bis jetzt gibt es ja nur Beschreibungen, Powerpoint und Absichten, noch nichts Reales, keine Verhaltensänderung zu einem gewünschten Zielzustand. Also muss eine Koppelung mit gewohnten Codes, Methoden, Prozessen und Strukturen geschehen. Das Neue soll mit Hilfe des Alten in die Welt. Es werden Steuerungskreise, Lenkungsausschüsse und weitere Gremien gegründet, mit Rechten und Pflichten versehen, personell besetzt und Berichtswege definiert. Im Verb aufsetzen versteckt sich Tragik. Die Adressaten dieser Veranstaltungen sind Funktionsträger der veränderungswilligen Organisation. Sie haben mit ihrer Regeltätigkeit schon gut zu tun. Zur regulären Auslastung wird etwas Zusätzliches aufgesetzt und kommt hinzu: neue Termine mit neuen Themen und neuen Umständen. Mitnichten fällt dafür etwas weg um Raum zu machen. Damit steigt die Belastung und die individuelle Effizienz sinkt.

Mit dem Alten das Neue gebären?

Wer Zeit in diesen Veranstaltungen verbringt, ist aus mehreren Gründen nicht zu beneiden. Die zugeschriebene Rolle (steuern! lenken!) aufrichtig wahrzunehmen hiesse, sich hinreichend vorzubereiten. Die Veränderungen zur letzten Sitzung wahrzunehmen, mögliche Störereignisse zu antizipieren oder viel besser, sie zu vermeiden helfen bevor sie die Umsetzung der Planung behindern. Das aber geht wiederum von der Regelarbeitszeit ab. Die Konsequenz ist: jene, die lenken, steuern und entscheiden sollen, erscheinen uninformiert und von ihren Tagesgeschäften abgehalten sanft enerviert in jenen Meetings, die ihnen nicht wirklich fehlten. Da Veränderungsprojektprofis das längst erahnen, geschehen diese Veranstaltungen als Rapport. Die Projektmanagenden berichten, was in der letzten Periode geschah, wo man heute steht und was die nächste Periode geplant hat. Auf der Ebene der planend Handelnden unentscheidbare Entscheidungen werden zur Entscheidung durch jene gebracht, die unterinformiert dann situativ entscheiden. Das können sie nicht immer und müssen sich zuvor bei der wiederum sie umgebenden Hierarchie erkundigen oder rückversichern. Das dauert. So entstehen notwendigermassen Bugwellen aus sich aufschaukelnden Entscheidungsstaus und zur Optimierung der knappen management attention multiple-choice Optionen. “Wir haben die folgenden Entscheidungsoptionen für Sie vorbereitet.”

Mir nach, ich folge Euch! Wetten wir auf die Zukunft.

Das Beratungsunternehmen ist gegen die Effekte einer bestellten, umfassenden Vorplanung de facto unplanbarer sozialer Prozesse nicht ganz wehrlos. Übliche Vertragspassagen oberhalb der salvatorischen Klausel formulieren, dass benannte Personen und Rollen des auftraggebenden Unternehmens sogenannte Mitwirkungspflichten haben. Diese wiederum geschehen formalisiert als dass das Top-Management die Restrukturierung ‘umfassend und rückhaltlos’ unterstützt. Eine andere Lesart: der vorgelegte, gemeinsam erarbeitete und ‘abgestimmte’ Plan wird als Vertragsbestandteil akzeptiert und macht weitere Skepsis damit im gleichen Moment unzulässig. Beide Seiten haben ja daran mitgewirkt, Kanten und Stolpermomente entschärft, vorhersehbare Eventualitäten bedacht. Die Mitwirkungspflicht bringt beide Vertragspartner in ein vorhersehbares Dilemma. ‘Die Beratung’ verpflichtet sich zur Umsetzung eines Planes, der gemeinsam mit dem Auftraggeber erstellt wurde. Beide Seiten wissen oder ahnen wenigstens, dass dieses hart verhandelte Ergebnis bestenfalls eine Wette darauf ist, dass alles läuft wie zuvor am Schnürchen geplant. Die Metapher ist charmant: läuft etwas ‘am Schnürchen’, dann sollten keine störenden Knoten auftreten, die den Lauf behindern. Treten sie doch auf, dann kann ein vorsorglich eingepreister zeitlicher Puffer zur Entknotung helfen oder die proaktive Mitwirkung einer hierarchischen Rolle, ein Machtwort oder eskalierende Sanktionsdrohungen an das Knötchen. Verträge dieser Machart braucht es tatsächlich nur im Streitfall, wenn also etwas nicht eintritt wie geplant, vertraglich fixiert und Zahlungen offen stehen. Tatsächlich wird ja nicht der Eintritt eines intendierten Zielzustandes (‘das Neue ist beobachtbar eingetreten’) als Qualität vertraglich vereinbart sondern eine Quantität als Ableistung eines zuvor vereinbarten Volumens an Beratungstagen. Genau so geschieht die Abrechung einer Taxifahrt nach Strecke und Zeit. Wobei es im Taxi default um das Ziel geht: der Fahrgast möchte einen entfernten Ort erreichen, der Droschkenfahrer befördert den Gast dorthin. Das ist der Beförderungsvertrag, der beim Platznehmen automatisch zu Stande kommt. Es beginnt nun Geld zu fliessen in Form von Tagsätzen an Berater, aus deren bisherigen Erfahrungen die Kompetenz für ‘das Neue’ abgeleitet werden. Wenigstens so plausibel, dass das einkaufende Unternehmen dem Alibi Glauben schenkt und einen Projektvertrag gegenzeichnet. Ah — es sollte ja darum gehen, wie Managementmethoden Modezyklen folgen und dann darum, wie Sie selbst einen Blockbuster starten. Schreiben Sie erst einmal das Buch.

  1. Brunsson und Olsen, 2018 sowie Weick, 1995↩︎
  2. Crozier und Friedberg, 1980↩︎
  3. Schnierer, 1995↩︎
  4. McCracken, 1985↩︎
  5. Blumer, 1969 – auf S. 283 wird Zeitgeist erwähnt, Blumer war deutschstämmig und lehrte in Berkeley. Eine Kernaussage ist ‘fashion performs in a moving society a function which custom performs in a settled society’ (S. 289).↩︎
  6. Berger, 1992↩︎
  7. Kieser, 1997:52 sowie Bort und Kieser, 2011↩︎
  8. »Der Wissenschaftsbetrieb ist auch eine im industriellen Maßstab organisierte Ökonomie der Wissen produzierenden Aufmerksamkeit.«, schreibt Georg Franck 1998 in ‘Ökonomie der Aufmerksamkeit’↩︎
  9. Schlüssige Beweise für eine effizientere, neue Managementmethode wären Evidenzen und damit nachgewiesene Kausalbeziehungen von Intervention und Wirkung — von Managementmethode und Bilanzergebnis.↩︎
  10. Jeff Sutherland zeigte das etwa 2014 mit einem Buchtitel ‘Scrum: The art of doing twice the Work in half the Time’ und darin lediglich anekdotischen Beschreibungen gesteigerter Effizienz.↩︎
  11. Rosa, 2016↩︎
  12. Bogsnes, 2016↩︎
  13. Rogers, 2003↩︎
  14. Robinson, 1976↩︎
  15. Richardson und Kroeber, 1940↩︎
  16. Kühl, 2019↩︎
  17. Abrahamson, 1996 und Eccles et al, 1992↩︎
  18. Clark und Salaman, 1996 – zitiert nach Kieser, 1997↩︎
  19. Roberts, 2005 sowie Peters und Waterman, 1983:488↩︎
  20. Kieser, 1997:62 zitiert ↩︎
  21. Allein schon, weil es weniger um ‘das Neue’ geht, sondern um das Bewahren des bereits Funktionierenden. Auch, wenn es nicht mehr so gut funktioniert und deswegen ja ‘das Neue’ Verbesserung bringen soll. ↩︎

Quellen

Abrahamson, Eric. 1996. „Management Fashion“. The Academy of Management Review 21 (1): 254. https://doi.org/10.2307/258636.
 
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Blumer, Herbert. 1969. „Fashion: From Class Differentiation to Collective Selection“. The Sociological Quarterly 10 (3): 275–91. https://doi.org/10.1111/j.1533-8525.1969.tb01292.x.
 
Bogsnes, Bjarte. 2016. Implementing beyond budgeting: unlocking the performance potential. Second edition. The Wiley corporate F&A series. Hoboken, New Jersey: Wiley.
— „The Statoil Case“. 2017. In Implementing Beyond Budgeting, von Bjarte Bogsnes, 123–219. Hoboken, NJ, USA: John Wiley & Sons, Inc. https://doi.org/10.1002/9781119449577.ch4.
 
Bort, Suleika, und Alfred Kieser. 2011. „Fashion in Organization Theory: An Empirical Analysis of the Diffusion of Theoretical Concepts“. Organization Studies 32 (5): 655–81. https://doi.org/10.1177/0170840611405427.
 
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Crozier, Michel, und Erhard Friedberg. 1980. Actors and Systems: The Politics of Collective Action. Chicago: University of Chicago Press.
 
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Rosa, Hartmut. 2016. Resonanz: eine Soziologie der Weltbeziehung. Erste Auflage. Berlin: Suhrkamp.
 
Weick, Karl E. 1995. Sensemaking in organizations. Foundations for organizational science. Thousand Oaks: Sage Publications.
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