digitalien.org — Stefan Knecht

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Lernen mit dem Alter

Niccolò Machiavelli und Adam Smith — Gespräche mit Georg Sieber

Diese Folge ist eine weitere mit Georg Sieber und ein Anschluss an einen Dreiteiler zum Olympiaattentat 1972. Es geht um Niccolò Machiavelli und Adam Smith, um Fragen von Macht und Machterhalt und wiederum viele Missverständnisse.

Dieses vierte Gespräch mit Georg Sieber fand statt am  8.3.2022, ebenso in seiner Wohnung in Neuhausen und diesmal mit etwas weniger Baulärm.

Diese Folgen »Lernen mit dem Alter« führen ein paar offene Enden weiter. Weil es gut passt und weil Georg Sieber als Interpretator gelten darf: er gab drei Jahrzehnte Seminare über historische Spitzenkräfte und berief Niccolò Machiavelli als Katalysator für Organisationsfragen und Entscheidungsprobleme. 

Eher zufällig gelangt das Gespräch zu Adam Smith und weiteren Missverständnissen und Fehlinterpretationen.

 

Niccoló Machiavelli

Machiavelli untersuchte ‘Macht’ sowohl ethisch als auch empirisch. Er ist vor allem bekannt für die staatsphilosophischen Hauptwerke ‘Discorsi (sopra la prima deca di Tito Livio)’, geschrieben 1513–1519 und ‘Il Principe‘ (Der Fürst) von 1513.

»Machiavellis Empfehlungen für den 'Principe' sind Empfehlungen, die auch Konrad Adenauer gegeben hätte. Wie bleibt man an der Macht?«

Lernen mit dem Alter — Gespräche mit Georg Sieber zu Niccolò Machiavelli und Adam Smith  (Aufnahme am 8.3.2022)

»'Der Zweck heiligt die Mittel' stammt nachweislich nicht von Machiavelli — eine dreiste Fälschung.«

Zu Zeiten Machiavellis (1469-1527) war Florenz dem Namen nach eine Republik. Eine übersichtliche Stadt mit vielleicht 120’000 Einwohnern — man kannte sich. Tatsächlich war Florenz von den Medici regiert, den Bankiers der Päpste. Es war das Florenz der Renaissance, einer dreihundert Jahre lange Epoche im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit in Florenz. Die Zeit von Dante, Shakespeare, Michelangelo, Riemenschneider, da Vinci, Dürer, Palladio.

Terretoriale Integrität war flüchtig, Fürsten und Könige versuchten ständig, einander Land wegzunehmen. Der einfachste Weg war die geschickte Heirat und sich dann ein Stückchen der Aussteuer zu nehmen. Das war aber nicht sonderlich stabil.

Machiavelli war gelernter Rechtsanwalt und wie sein Vater kein vollwertiger Florentiner. Er durfte nicht wählen, seine Cousins waren vor Nicolos Geburt in einen Staatstreich verwickelt, sein Vater hatte Steuerschulden.

Er war Staatsdiener zu einer Zeit, als die Medici kurz nicht an der Macht waren. Diese identifizierten Machiavelli schnell als Störenfried. Seine einzige Chance auf gesicherten Lebenunterhalt war, wieder in den Staatsdienst zu kommen. Also schrieb er den ‘Principe’ um sich den Medici als erfahrener politischer Ratgeber zu empfehlen.

Die ‘Discorsi’ reflektieren das Werk von Titus Livius, dem römischen Geschichtsschreiber, der sich mit der Gründung des römischen Staates befasste. Machiavelli leitet Einsichten zu Politik, Krieg und politischer Führung aus der Geschichte ab: alles habe zum Wohle des Volkes zu geschehen. Er kritisierte die katholische Kirche und Monarchen, die Politik zum eigenen Nutzen machen. Der ‘Principe’ beschäftigt sich mit der Alleinherrschaft und den Bedingungen ihres Erfolges. Welche persönlichen Fähigkeiten und Voraussetzungen sind es, die einen erfolgreichen Herrscher ausmachen? (Schmidt und Wendland, S.204) »Machiavelli führt Begriffe ein, die die inhaltliche Diskussion seines Werkes in vielen Interpretationen bestimmen: Das Zusammenspiel von virtù (Tüchtigkeit), fortuna (Glück) und occasione (Gelegenheit) bestimmt die Chancen der Machtergreifung.« (Reinhart 2017)

Beide Bücher wurden erst nach seinem Tod gedruckt und als Teufelswerk nicht nur vom Vatikan prompt auf den Index gesetzt. Unangefochten erfolgreich war Machiavelli jedoch nur mit seinen Komödien: sie stehen noch immer auf dem Spielplan.

»Wer Machiavellismus als Beleidigung versteht, hat die Texte nicht verstanden. Machiavelli gibt Anweisungen dafür, wie man auf den Füßen bleibt.« (...) »Angela Merkel ist die grösste Machiavelli-Darstellerin.«

Adam Smith

Adam Smith war mit seiner »Theorie der ethischen Gefühle« bereits weithin bekannt, als er »Wohlstand der Nationen« schrieb und darin Vergleiche zwischen Ländern zog. Dafür reiste er durch Europa und sammelte Daten. Bezahlen konnte er das, weil das erste Buch sich bestens verkaufte.

»Dieses Vorwissen aus Macchiavelli findet sich in fast komprimierter Form wieder in den 'Ethischen Gefühlen' bei Adam Smith.« (...) »eine gerade Linie über fast 300 Jahre.«

Adam Smith war mit »Theorie der ethischen Gefühle« bereits weithin bekannt, als er den  »Wohlstand der Nationen« schrieb und darin Vergleiche zwischen Ländern zog. Dafür reiste er durch Europa und sammelte Daten. Das konnte er sich leisten weil sich das erste Buch bestens verkaufte.

»Smith hat niemals gesagt: die Wirtschaft muss man freilassen oder der Markt regelt alles. (...) An einer einzigen Stelle kommt die 'unsichtbare Hand' vor, als Anekdote für einen dummen Zufall.«

Das Gespräch tangiert weitere Themen. Etwa den  Unterschied von Unternehmen und Betrieb und was Adam Smith damit zu tun hat und weshalb er der erster Betriebspsychologe war — noch lange, bevor es das Fach gab.

Der Weg zum Glück führt über die Entbehrung?

»Wenn das nicht so wäre, dann gäbe es den Tod nicht. Weil wir hoffen und irgendwie auch wissen: Leid und Entbehrung gehört zum Werden. «​

[yarpp]

Quellen und Shownotes

Wikipedia-Page zu Georg Sieber

 

Reinhardt, Volker. 2017. ‘Niccolò Machiavelli: Der Urvater aller Fake-News’. Die Zeit, 23.9.2017, sec. Wissen. URL.

Schmidt und Wendland. 2011. Der wunderbare florentinische Geist: Einblicke in die Kultur und Ideengeschichte des Rinascimento.  Karlsruhe: KIT Scientific Publishing. ISBN: 9782821874336

Das Portrait ist eine Adaption der Büste Machiavellis, erste Hälfte 16. Jh., Palazzo Vecchio, Florenz.

Jingle »Lernen mit dem Alter«

Die Hintergrundmusik des Jingles ist ein Ausschnitt des Swing-Standards »Swing 39« von Django Reinhardt und dem ‘Quintette du Hot Club de France’ mit Stéphane Grapelli. Die Aufnahme stammt vom französischen Trio ‘Latché Swing’ und wird unter einer ‘Attribution-Noncommercial-Share Alike 2.0 France License’ verwendet.