digitalien.org — Stefan Knecht

Einfach, komplex, kompliziert — Wie geschieht Organisation?

Was einfach ist, weiss jeder: ‘wenn es leicht geht’.

Aber was ist der feine Unterschied zwischen kompliziert und komplex?

Was bedeutet dieser Unterschied für die Organisation von Arbeit?

Einfach: Kuchen backen

Einfache Replikation durch Rezepte

Inhaltsstoffe, Mengen und Arbeitsabläufe sind klar definiert.

Es ist keine besondere Erfahrung erforderlich. (So ziemlich) jeder kann mit dem Rezept loslegen. Erfahrung erhöht die Erfolgsquote

Kompliziert: Rakete auf den Mond schicken

Starre Protokolle und Formeln sind erforderlich.

Ist es einmal geschafft, erhöht das die Wahrscheinlichkeit für die nächste Mission. 

Erfolg hängt von Blaupausen für verschiedene Bauteile und Beziehungen ab, die das vielfältige notwendige Wissen enthalten und richtig zusammengefügt werden müssen.

Komplex: Kinder großziehen

Starre Protokolle helfen in der Kindererziehung wenig: die Erziehung eines ersten Kindes bringt Erfahrung. Beim nächsten Kind können die Anforderungen abweichen.

Erfahrung hilft — sofern dabei auf die Individualität des nächsten Kindes eingegangen wird. Unsicherheit über das Ergebnis bleibt, da es von vielen inneren und äußeren Faktoren abhängt, die sich der Erziehung entziehen.

Bestandteile sind nicht vom Ganzen zu unterscheiden: Beziehungen und Erfahrungen unterscheiden sich.

Einfache (Arbeits-)Kontexte können durch eine überschaubare Menge von Anweisungen strukturiert werden

Jeder Hot-Dog oder Hamburger soll gleich schmecken und aussehen. Der ideale Ablauf ist klar definiert. Bei definierten Prozessen sind Abweichungen und Flexibilität unerwünscht: agile Organisationsprinzipien bieten wenig Vorteile.

Auch in der Arbeit mit IT-Systemen gibt es viele deterministische Kontexte, bei denen diese Struktur hinreichend ist.

In der Schadensbearbeitung einer Versicherung bestehen Kunden auf der regelhaften, nachvollziehbaren Abwicklung von Schäden.

Die Funktionsweise von Behörden und ihre zuverlässige Nachvollziehbarkeit sind einer der Grundpfeiler unserer Gesellschaft.

Weil in diesen Beispielen und bei definierten Prozessen Abweichungen und Flexibilität unerwünscht sind, bieten agile Organisationsprinzipien wenig Vorteile.

Kompliziert: nicht einfach, aber letztlich beherrschbar

Komplizierte Kontexte können nicht mehr durch einen einfachen Satz von Anweisungen erfasst werden. Eine lange Ausbildung, tiefes Verständnis oder sogar ein ganzes ist Team nötig, um komplizierte Probleme zu lösen. Wenn es wichtig ist zu verstehen, lohnt sich der Aufwand für Recherche, Beobachtung und Studium, um etwa ein detailliertes Diagramm zu erstellen: für eine komplizierte Situation gibt es letztlich eine beste Lösung.

Ein Teamleiter ist gut beraten, vor einer wesentlichen Entscheidung Sicht und Rat des Teams oder einzelner Experten einzuholen. In komplizierten Umgebungen kann kaum einer alles wissen. Die Gefahr etwas Wichtiges ausser Acht lassen und verhängnisvolle Fehler machen ist größer, je vernetzter die Zusammenhänge und Abhängigkeiten sind.

In komplizierten Kontexten ist das angemessene Leitungssystem damit nicht Command and Control, sondern ein kooperativer Stil, im dem Wissen und Sichten der Teammitglieder gehört werden und Einfluss nehmen können.

Komplex: nicht planbar und erst im Nachhinein verstehbar

Besatzung und Passagiere sitzen im ‘komplexen System’ Flugzeug und versuchen vorherzusagen, was während des Flugs passieren wird.
Plötzlich wird aus ‘kompliziert’ eine ‘komplexe’ Situation. Es ist nicht vorhersagbar, wie Menschen in einer komplexen Situation interagieren.

Man kann Vermutungen anstellen, doch kaum Sicherheit erreichen: es gibt zu viele Variablen, und ihr Zusammenhang bleibt weitgehend unklar.

Komplex heißt: nicht planbar und wenn überhaupt, dann erst im Nachhinein verstehbar.

Es gibt keine Garantie dafür, dass eine Aktion, die heute richtig ist, auch morgen zu gleichen Ergebnissen führt. Und es heißt auch, dass man nie für alle Eventualitäten vorausplanen kann. Es sind ständig von allen Beteiligten Entscheidungen unter Risiko oder Unsicherheit gefordert. Es kann kein Handbuch geben, das zu befolgen ist.

Es reicht in komplexen Situationen auch nicht aus, wenn Teammitglieder den Teamleiter beraten und dieser entscheidet. Das würde einen Teamleiter sofort zu einem hoffnungslosen Flaschenhals für Informationen und Entscheidungen machen. Jedes Teammitglied muss stattdessen Initiative ergreifen, den anderen nach Bedarf helfen und ständig Entscheidungen treffen und sie kommunizieren.

Damit es überhaupt eine gemeinsame Ausrichtung, ein alignment, gibt, sind gemeinsame Werte, Prinzipien, Ziele und Strategien nötig. Erst dieses alignment ermöglichst die Autonomie von Teams und einzelnen Personen.

In komplexen Situationen findet ein selbstorganisiertes Team gemeinsame Lösungen besser als Einzelne.

Quellen

Konzept und Text adaptiert nach: Westley, F., Zimmerman, B., & Patton, M. (2007). Getting to Maybe: How the World Is Changed (Reprint). Toronto: Vintage Canada.
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