digitalien.org — Stefan Knecht

Aufgemerkt! Der Dunning-Kruger Effekt stimmt nur zu einer Hälfte

In den 1990ern prüften David Dunning und Justin Kruger, ob inkompetente Personen sich ihrer Unfähigkeit bewusst seien, also ihre subjektiven Fähigkeiten systematisch überschätzen und glauben, etwas zu können obwohl das objektiv nicht der Fall ist.(1)

Nach einer Prüfung fragten Dunning und Kruger nach einer absoluten und einer relativen Einschätzung der eigenen Leistung. Als erste Frage, wieviele Lösungen sie glaubten richtig zu haben. Als zweite Frage, wie sie glauben im Vergleich zu ihren Komilitonen abgeschnitten zu haben. Diese zweite relative Schätzung ist Türöffner zu einem strukturellen kognitiven Denkfehler denn wir alle meinen, besser als der Durchschnitt zu sein. Das Experiment wurde mehrfach mit ähnlichen Ergebnissen wiederholt.(2)

Wenn das so stimmt, dann trauen wir uns systematisch mehr zu als wir tatsächlich können. Sich mehr zutrauen als beobachtbar ist? Das ergibt den arroganten Narren.

John Cleese sagte es (leicht verkürzt) prägnanter:

»… wenn du doof bist, dann weisst du nicht mal das.«(3)

Dunning und Kruger teilte die Ergebnisse der Tests in Viertel. Die unteren 25 Prozent hatten 10 der 20 Fragen richtig, die besten des oberen Viertels durchschnittlich 17 von 20. Während die untere Gruppe, die mit den relativ schlechtesten Testergebnissen, sich selbst um 20 Prozent überschätzten (also meinten, sie seien um ein Fünftel besser als sie es tatsächlich waren) unterschätzten die Besseren ihre eigene Leistung um etwa 15 Prozent.

In der wilden Welt der Lohnarbeit hat der Dunning-Kruger-Effekt Konsequenzen. Für ein gängiges Szenario muss man nicht viel konstruieren: eine Führungsperson ist fachlichen Argumenten und Fakten nicht zugänglich und trifft in der Folge uninformierte ‘Bauch’-Entscheidungen, hält sie für korrekt. Das Zirkelschluß-Muster dahinter ist ebenso trivial wie häufig: Ich bin ja Führungsperson (und nicht du) weil ich ‚es drauf habe‘, sonst wäre ich nicht Chef.

Mit ein wenig Abstand tragen jene eine doppelte Last: nicht nur zögen sie falsche Schlüsse und treffen daraus schlechte Entscheidungen. Schwerer wiegt, sie stehen ihrem eigenen Lernen im Weg weil ihnen die metakognitive Fähigkeit fehlt, die eigene Inkompetenz zu erkennen: der arogante Narr ist gefangen in der selbstgemachten Echokammer. Das kennen wir alles aus dem Zivilleben: 80 Millionen Deutsche halten sich für die besseren Nationaltrainer und ebenso viele fahren besser Auto als all die anderen, die Straßen verstopfenden Vollhorste.

Der Mathematiker Eric Gaze hat sich mehr als dreißig Jahre nach der originalen Arbeit von Dunning und Kruger die Zusammenhänge und Schlussfolgerungen genauer angesehen und das Versuchsdesign ein wenig modifiziert.(4)Experimentiert wurder nicht mit realen sondern mit 1154 fiktiven Personen, denen zufällig sowohl ein Testergebnis wie eine ebenso randomisierte Selbsteinschätzung im Vergleich zu ihren ebenso erfundenen Testpersonen zugewiesen wurde. Allein durch den statistischen Effekt einer zufälligen Zuordnung der computergenerierten Versuchsdaten geschah eine Überschätzung von 37,5 Prozenzpunkten — ohne dass auch nur ein einziger menschlicher Narr beteiligt gewesen wäre.(5)

Eric Gaze gibt Gründe, warum wenigstens der zweite Teil der Analyse von Dunning und Kruger, der Vergleich mit der peer group irreführend ist.(6)

Die Schlechtesten der Kohorte würden ihre Leistung auch am meisten überschätzen weil sie am Weitesten von einem perfekten Ergebnis entfernt sind, also die Spannweite nicht taxieren können und zudem dem strukturellen Denkfehler aufsitzen, besser als der Durchschnitt zu sein. Tatsächlich zeigen die Daten aber, dass die schlechtesten Prüflinge ihre objektive Leistung nicht wesentlich schlechter einschätzen als sie tatsächlich war. Die Selbstwahrnehmung ist also zutreffend, die eigene, relative Position in der Leistungsreihe Kohorte ist schräg. Weil der Effekt in zufälligen, computergenerierten Daten zu sehen ist, handelt es sich möglicherweise nicht um einen strukturellen Denkfehler sondern um ein Artefakt des Experimentdesigns.(7)

Dunning und Kruger beschrieben einen realen Effekt korrekt: die meisten Menschen glauben, sie seien besser als der Durchschnitt. Das ist es aber auch, nichts weiter. Die Realität ist, dass Menschen sehr wohl eine Fähigkeit haben, die eigene Kompetenz und Wissen realistisch einzuschätzen.

»the reality is that very few people are truly unskilled and unaware«(8)

Wie man die einen von den anderen unterscheiden kann? Da ist noch zu forschen.

Referenzen

(9) Ehrlinger, Joyce, Kerri Johnson, Matthew Banner, David Dunning, und Justin Kruger. 2008. „Why the Unskilled Are Unaware: Further Explorations of (Absent) Self-Insight among the Incompetent“. Organizational Behavior and Human Decision Processes 105 (1): 98–121. https://doi.org/10.1016/j.obhdp.2007.05.002.

(10) Gaze, Eric C. 2023. „Debunking the Dunning-Kruger Effect – the Least Skilled People Know How Much They Don’t Know, but Everyone Thinks They Are Better than Average“. The Conversation. 8. Mai 2023. URL.

(11) Robert Grimsby, Reg. 2014. John Cleese on Stupidity. Video-URL.

(12) Jarry, Jonathan. o. J. „The Dunning-Kruger Effect Is Probably Not Real“. Office for Science and Society. Zugegriffen 30. Mai 2023. URL.

(13) Kruger, Justin, und David Dunning. 1999. „Unskilled and Unaware of It: How Difficulties in Recognizing One’s Own Incompetence Lead to Inflated Self-Assessments.“ Journal of Personality and Social Psychology 77 (6): 1121–34. DOI.

(14) Nuhfer, Edward, California State University (retired), Christopher Cogan, Independent Consultant, Steven Fleischer, California State University – Channel Islands, Eric Gaze, Bowdoin College, Karl Wirth, und Macalester College. 2016. „Random Number Simulations Reveal How Random Noise Affects the Measurements and Graphical Portrayals of Self-Assessed Competency“. Numeracy 9 (1). DOI.


  1. kruger.dunning1999  ↩︎

  2. ehrlinger.etal2008  ↩︎

  3. grimsby2014  ↩︎

  4. gaze1923  ↩︎

  5. nuhfer.etal2016  ↩︎

  6. gaze1923  ↩︎

  7. jarry2020  ↩︎

  8. gaze1923  ↩︎

  9. ehrlinger.etal2008  ↩︎

  10. gaze2023  ↩︎

  11. grimsby2014  ↩︎

  12. jarry2020  ↩︎

  13. kruger.dunning1999  ↩︎

  14. nuhfer.etal2016  ↩︎