digitalien.org — Stefan Knecht

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Was ist das richtige Problem, das zu lösen sich lohnt?

Jede gute Lösung beginnt mit dem richtigen Problem.

Wie können wir ein Problem isolieren, dessen Lösung wirklich weiter hilft?
Was ist der root cause für einen unbefriedigenden Zustand?
 
Eine schöne Parabel ist die des ersten muskelgetriebenen Flugzeuges, der ‘Gossamer Condor’.
 
Ohne die Pointe zu spoilern: das Problem war nicht, mit kräftigen Schenkeln in der Luft zu bleiben — das besorgte ein trainierter Radrennfahrer. Die Lösung war, nach fehlgeschlagenen Experimenten schneller als die Konkurrenz den nächsten Versuch zu starten.
 

»Das Problem ist: Wir wissen nicht, was das Problem ist.«

Das richtige Problem finden: Die »Gossamer Condor«

Der Kremer Preis

Die Royal Aeronautical Society lobte 1959 einen Preis für ein allein mit Muskelkraft betriebenes Flugzeug aus, den Kremer Preis. Die Regeln sind einfach:
  • Nur von der Kraft eines Menschen angetrieben, muss ein Flugzeug abheben
  • auf 10m Höhe 180° links drehen,
  • eine halbe Meile fliegen,
  • nach rechts wieder zurück und in 10 Foot Höhe über die Ziellinie.

Also: Fliege eine liegende Acht in 10m Höhe.

Die Regeln sind auch schwierig: 

  • an einem guten Tag hat ein Mensch ungefähr ein halbes PS Leistung.
    Das reicht kaum.
  • Radprofis schaffen auf kurze Strecken 500W oder ⅔ PS.

 

Was genau ist das Problem?

So schwierig kann das nicht sein ...?

Bis 1973 löste niemand den Kremer-Prize ein. Das Preisgeld wurde auf £50,000 erhöht. Der Kalifornier Paul MacCready begann sich zu interessieren und startete Experimente in einer Gruppe mit Ingenieuren. Sie nannten ihr Fluggerät ‘Gossamer Condor’. Der Condor war gebaut aus dünnen Aluröhren, Klavierdraht, einer Bespannung aus Mylar und Klebeband und wog bei einer Spannweite von fast 30 m nur 25 kg. So war es schnell zu reparieren. Ende 1976 liefen erfolgreiche Testflüge. MacCready war sicher, den Kremer Preis zu gewinnen. Ein gut trainierter Rennradler wurde zum Piloten — und flog. Doch musste der Condor steuerbar sein, um auch Kurven fliegen zu können. Das war nicht einfach.

Sie fanden keine Konstruktion, um genug Kraft auf die rechteckigen Schwingen zu bringen um Kurven zu fliegen.

McCready baute ein Modell, um unter Wasser die wirkenden Kräfte besser erfühlen zu können.

Yihaa! Wettbewerb.

Währenddessen meldete ein japanisches Team, es sei kurz vor dem Ziel. Es wurde knapp. Das Condor-Team startete von vorne, zerlegte den Flieger und zog zu einem neuen Flugplatz mit geringeren Seitenwinden um.

Eine neue Flügelkonstruktion mit abgewinkelten Schwingen und aerodynamischer Styroporkante sollte helfen.

Der Condor wurde allerdings 3 kg schwerer. Nicht viel, möchte man meinen.

Ein beweglicher Frontflügel brachte genug Kraft für die seitliche Kontrolle und es konnten nun Kurven geflogen werden um die ‘liegende Acht’ des Kremer Prize zu erfüllen.

Der Condor fliegt. Nicht um die Kurve.

Nach kompletter Neukonstruktion fliegt am 5.3.1977 der neue Gossamer Condor 5 Minuten und 5 Sekunden — der längste muskelgetriebene Flug der Menschheit. Das neue Design bleibt geheim, um den Vorteil gegenüber dem japanischen Team zu wahren.
Doch es gibt ein Problem: Nach einem Crash dauert es Tage, alles zu reparieren. Und nach jeder Reparatur verhält sich der Condor anders als zuvor.
Es dauert ein weiteres halbes Jahr bis die Ingenieure entdecken, dass ein Verwinden der Tragflächen über einen Hebel am Pilotensitz den Condor gut steuern lässt.
Weitere Fehlversuche frustrieren. Nach jedem Crash von vorne anfangen? Was genau ist das Problem? Noch eine Neukonstruktion. Der Condor ist nun besser steuerbar und wieder 3 kg leichter.
Mit mehr als 400 Testflügen und einem neuen Piloten, der Segelflieger und auch Radrennradamateur ist, bleibt der Gossamer Condor jetzt mehr als 8 Minuten in der Luft. Noch nicht lange genug, um den Kremer Prize zu schaffen.

Evolution und Schmerzen

Am 23.8.1977 und nach einem Jahr schmerzvoller Evolution startet der zehnte offizielle Versuch.

Nach der letzten Schleife muss der Condor die liegende Acht des Kurses in über drei Meter Höhe beenden.

Es gelingt. Der Kremer Preis ist gewonnen. Die Lösung war: das richtige Problem finden. »Wie ein Flugzeug bauen, um nach einem Crash schnell wieder zu starten?« Nicht: ‘Wie ein Flugzeug bauen, das um Wendepole fliegen kann?’

Aus welchem Experiment kann man am Besten lernen?

Die Lösung für den Kremer Preis:

Re-Framing: Ein leichtgewichtiges Fluggerät so zu konstruieren, dass es nach einem Crash aus Modulen schnell wieder startklar ist.

Bis zu dreimal am Tag.

Nicht das Fliegen, nicht die Steuerung war die Lösung — sondern schnelle Experimente zu machen. Schnell lernen und die nächste Iteration starten.

Am Beispiel der Gossamer Condor wird klar, dass nicht das muskelgetriebene Fliegen , sondern die Rüstzeiten nach einem Crash das richtige Problem waren.

Sobald das gelöst war, konnte in Varianten schneller gelernt werden.

Der Kern guter Experimente: das richtige Problem finden.

Quellen

Der ganze Film von 1978 ist auf YouTube.

Die Hintergrundbilder stammen aus diesem Video und sind allesamt nachbearbeitet.