digitalien.org — Stefan Knecht

Die Guglhupf-Analogie: wie lernen Menschen?

Information oder Daten sind kein Wissen und noch lange keine praktisch anwendbare Fähigkeit. Kompetenzen entstehen durch Übung und bei noch mehr Wiederholung erst zu nutzbarer Erfahrung oder ‘Können’.

Wie genau Menschen lernen und so vom Amateur zum Experten werden, haben die Brüder Dreyfus erforscht. Ein schönes Bild dafür ist der Guglhupf, ein bayerischer Sandkuchen. In seiner Entstehung wird klar, was zusammenspielen muss, damit aus Informationen Wissen und aus angewendetem Wissen mit Übung schliesslich Kompetenz = Können werden kann.

Informationen, Wissen, Kompetenz, Erfahrung

Information oder Daten sind wie Zutaten: jedes für sich interessant, doch ohne Wissen und das Rezept der Verarbeitung recht sinnlos. Erst mit der Fähigkeit, das Rezept mit vorhandenen Zutaten auch auszuführen, entsteht der Guglhupf. Gelingt das Rezept, dann ist die Erfahrung der Geschmack, den Kuchen zu vertilgen.

In den 1970er Jahren erforschten die Brüder Hubert und Stuart Dreyfus, wie Menschen Fähigkeiten erlernen. Sie untersuchten hochqualifizierte Praktiker, Verkehrspiloten und weltberühmte Schachmeister. Sie zeigten, dass sich auf dem Weg vom Anfänger zum Experten einiges ändert. Man weiß nicht einfach ‘mehr’ oder gewinnt an Können. Stattdessen gibt es grundlegende Unterschiede wie man die Welt wahrnimmt, wie man an Problemlösungen herangeht und welche mentalen Modelle man mit mehr Expertise bildet und verwendet. Auch wie Experten sich neue Fähigkeiten aneignen oder welche Faktoren ihre Leistung fördert oder behindert, ändern sich.1

Die Gebrüder Dreyfus erkannten ein Muster

Experten wissen nicht mehr — sie bilden Modelle ihrer fachlichen Welt und passen sie situativ an. Experten finden neue Lösungswege, wenn Randbedingungen (Umstände, Kontext) sich ändern. Ein ‘Talent’ als notwendige Bedingung um etwas besser, schneller oder leichter zu erlernen, das fanden die Dreyfuse in ihren Untersuchungen nicht. Das bedeutet in aller Kürze: Expertise und Kompetenz kommen mit praktischer Übung und nicht durch noch mehr theoretisches Wissen.

Hubert und Stuart Dreyfus

Zu Beginn eines Lernprozesses hilft, was einfach und verlässlich immer funktioniert. Je besser sich mit ständiger Übung und Wiederholung Information zu Wissen zu anwendbarer Kompetenz wandelt — je eher kann der dann Erfahrene das erworbene Modell an den sich veränderten Kontext variieren. »Übung macht den Meister« stimmt also: der Schreinermeister hobelt aus Erfahrung intuitiv richtig und effizient, der Lehrling braucht handlungsleitende Regeln.

»Können ist wie Machen mit Ahnung«: Kompetenzen üben

Kompetenzen, Fähigkeiten verblassen ohne Übung. Im Job heisst das: machen, machen, falsch machen, besser machen. So gut handeln, wie es im Moment möglich ist — weil Informationen zugänglich sind, aus deren Verarbeitung, Rekombination und Anwendung Wissen und Einsicht wird und erst durch stetige Übung praktisch anwendbare Fähigkeiten wachsen. Snowboarder — nounproject CCBY Hilft ein gelesenes Snowboard-Buch, wenn Sie das störrische Brett an den kalten Füßen haben, an der vereisten Steilkante stehen, es dunkel wird und zu schneien beginnt? Eher nicht. Praktisch eingeübte Fähigkeiten helfen die Piste hinunter.

Experte werden? 10 Jahre harte Arbeit.

Wer Experte werden will, wird Zeit investieren. Unabhängig vom Fachgebiet dauert das gute zehn Jahre.2 Untersucht wurden das Schachspiel, Komposition, Malerei, das Klavierspiel, Schwimmen, Tennis und viele andere Disziplinen. In praktisch allen Fällen, von Mozart bis zu den Beatles, finden sich Belege für mindestens ein Jahrzehnt harter Arbeit, bevor sich Könnerschaft zeigt. Was braucht es noch? Eine wohldefinierte Aufgabe, ausreichend schwierig doch zu schaffen, nutzbares Feedback aus dem Umfeld und die Möglichkeit für Wiederholung und Fehlerkorrektur.3 4

Lernen ist also nichts, was einem widerfährt sondern etwas, das man selbst und aktiv tun muss. Wenn man Meister werden möchte, dann dauert es zehn Jahre.

Lerntypen, Lernstile oder Kanalkombinationen (visuell, auditiv, haptisch, kognitiv) wie Mitte der 1970er Jahre vermutet, haben ebensowenig Evidenz wie Lernumgebungen, in keiner Metastudie wurde Stichfestes gefunden.5 6 Persönliche Präferenzen gibt es, doch sind sie nicht konstant und beziehen sich bei näherer Analyse auf Aufgabenformen, in denen Lernende individuell höhere Kompetenz haben — selbstdienliches Verhalten also. Nachgewiesen förderlich für nachhaltiges Lernen ist die Nutzung möglichst vieler Sinne. Auch lernt sich leichter, wenn Emotionen angesprochen sind. Gefühle wirken auch beim Lernen wie ein Verstärker.

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  1. zitiert nach Hunt, A. (2008). Pragmatic thinking and learning: Refactor your „wetware“. Pragmatic. S. 22ff ↩︎

  2. Bloom, B. S., & Sosniak, L. A. (Hrsg.). (1985). Developing talent in young people (1st ed). Ballantine Books. ↩︎

  3. Hayes, J. R. (1981). The complete problem solver. Franklin Institute Press. ↩︎

  4. Bloom, B. S., Engelhart, M. D., Furst, E. J., Hill, W. H., & Krathwohl, D. R. (1956). Taxonomy of educational objectives: The classification of educational goals Handbook I, Handbook I,: Bd. Handbook I: Cognitive domain. David McKay Company. ↩︎

  5. Pashler, H., McDaniel, M., Rohrer, D., & Bjork, R. (2008). Learning Styles: Concepts and Evidence. Psychological Science in the Public Interest, 9(3), 105–119. DOI ↩︎

  6. Rogowsky, B. A., Calhoun, B. M., & Tallal, P. (2015). Matching learning style to instructional method: Effects on comprehension. Journal of Educational Psychology, 107(1), 64–78. DOI ↩︎