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digitalien.org — Stefan Knecht
Was steckt drin?
Bruce Tuckman beobachtete, dass Teaming immer in der gleichen Abfolge von vier Zuständen geschieht. Vom Forming zum Storming über das Norming zum erwünschten Performing: ein Team liefert Ergebnisse.
Das von Bruce Tuckman 1965 vorgeschlagene hierarchische Modell zum Entstehen funktionierender Teams aus losen Gruppen wird gerne zitiert, ist leider aber falsch: sozialwissenschaftliche Daten und Metanalysen konnten es nicht replizieren, widerlegten es gar.
Wenn Tuckmans Modell falsch ist, nützlich ist es dennoch. Tuckman gibt Hinweise, dass eine Gruppe nicht automatisch durch Akklamation zu einem funktionierenden Team wird. Es muss soziale Arbeit geschehen, Reibung, Normierung und Selbstorganisation. Das braucht gemeinsame Zeit und Reibungsfläche. Dafür ist das Tuckman-Modell gut und nützlich: als Einwandvorwegnahme und Schaumbremse für allzu nassforsche Managementmethoden.
»All models are wrong, but some are useful.«
Auf der Vertikalen steckt vermutlich schon der Geburtsfehler des Tuckman-Modelles. Die Annahme ist, dass aus einem (Grund-)Konflikt heraus und dessen Bearbeitung ein Zusammenhalt und daraus Vertrauen in einander entstünde. Wenn es aber keinen Konflikt gibt, dann auch kein Vertrauen …?
Auf der zeitlichen Dimension setzt eine ähnliche Vermutung die Sequenz der Stadien: eine Gruppe (noch kein Team) müsse sich zuerst hin zu gemeinsam akzeptierten, zu bearbeitenden Aufgaben orientieren bevor diese ebenso kollaborativ organisiert und dann gelöst werden.
Woher diese Annahme kommt, bleibt auch in den originalen Arbeiten Tuckmans offen.
Die Formierung von Teams aus losen Gruppen geschehe nach Tuckman dann über vier Phasen. Eine fünfte ganz rechts zur Auflösung der (Arbeits-)Gruppe wurde später ergänzt (Tuckman und Jensen, 1977).
Tuckman formuliert also als Modell eine sequentielle, hierarchische Folge von vier Stadien. Ein performantes oder effizient funktionierendes Team müsse zwingend vom Forming zum Storming und gelangt erst nach erfolgreich durchlaufenem Norming in den erstrebten Zustand eines performing Teams.
Abkürzungen sind nicht vorgesehen. Ändert sich die Zusammensetzung eines Teams, dann würden alle Stadien von Anfang erneut durchlaufen.
Bruce Tuckman publizierte sein Modell 1965 als Metaanalyse 50 anderer Untersuchungen.
Und er gab Warnhinweise mit: es sei kein allgemeingültiges, repräsentatives Modell und allenfalls für Therapie-/Trainings- und Laborgruppen beobachtbar. Von organischen Projektgruppen, wie sie sich in Unternehmen formieren oder zusammengestellt werden, war nie die Rede.
Mehr als 50 Jahre Sozialforschung können das leider nicht belegen. Dutzende Untersuchungen konnten das Tuckman-Modell nicht replizieren, es wurde gar widerlegt.
In der Revision des Modelles 1977 kamen weitere 20 Untersuchungen im gleichen setting hinzu. Und keine Verallgemeinerung.
Auch viele weitere Studien (Agazarian & Gantt, 2003; Connors & Caple, 2005; Miller, 2003; Tubbs, 2004) konnten die Linearität der Stadien nicht replizieren. Gersick (1988; 1989; 1991) fand keinerlei zeitliche Komponenten in der Abfolge der Tuckman-Stadien.
Es kamen ganz andere Zusammenhänge ans Licht, eine hierarchische, immergleiche Abfolge wurde nicht gefunden.
Knight (2007, S87) etwa konnte bei 321 beobachteten Teams weder die lineare Abfolge der Stadien noch andere Ähnlichkeiten mit dem Tuckman-Modell beobachten.
Es ist komplizierter. Aus Gruppen werden nicht immer Teams, einen Masterplan um Teambuilding zu beschleunigen oder zu ermöglichen gibt es nicht.
Agazarian, Y., & Gantt, S. (2003). Phases of group development: Systems-centered hypotheses and their implications for research and practice. Group Dynamics: Theory, Research, and Practice, 7(3), 238–252. https://doi.org/10.1037/1089-2699.7.3.238
Box, G. E. P. (1976). Science and Statistics. Journal of the American Statistical Association, 71(356), 791–799. https://doi.org/10.1080/01621459.1976.10480949
Box, G. E. P., & Draper, N. R. (1987). Empirical model-building and response surfaces. Wiley.
Connors, J. V., & Caple, R. B. (2005). A Review of Group Systems Theory. The Journal for Specialists in Group Work, 30(2), 93–110. https://doi.org/10.1080/01933920590925940
Gersick, C. J. G. (1988). Time and Transition in Work Teams: Toward a New Model of Group Development. Academy of Management Journal, 31(1), 9–41. https://doi.org/10.5465/256496
Gersick, C. J. G. (1989). MARKING TIME: PREDICTABLE TRANSITIONS IN TASK GROUPS. Academy of Management Journal, 32(2), 274–309. https://doi.org/10.2307/256363
Gersick, C. J. G. (1991). Revolutionary Change Theories: A Multilevel Exploration of the Punctuated Equilibrium Paradigm. The Academy of Management Review, 16(1), 10. https://doi.org/10.2307/258605
Herold, F. (2003). Der Weg der Gruppe [Seminararbeit]. PDF
Hurt, A. C., & Trombley, S. M. (2007). The Punctuated-Tuckman: Towards a New Group Development Model. 7. https://files.eric.ed.gov/fulltext/ED504567.pdf DOWNLOAD
Knight, P. (2007). Acquisition Community Team Dynamics: The Tuckman Model vs. the DAU Model. 55. https://apps.dtic.mil/dtic/tr/fulltext/u2/a493549.pdf
Miller, D. L. (2009). The Stages of Group Development: A Retrospective Study of Dynamic Team Processes. Canadian Journal of Administrative Sciences / Revue Canadienne Des Sciences de l’Administration, 20(2), 121–134. https://doi.org/10.1111/j.1936-4490.2003.tb00698.x
Norton, D. (2017, May 5). Tuckman Was Wrong! OnBelay. https://onbelay.co/articles/2017/5/5/tuckman-was-wrong
Tubbs, S. L. (2012). A systems approach to small group interaction (11th ed). McGraw-Hill Humanities/Social Sciences/Languages.
Tuckman, B. W. (1965). Developmental sequence in small groups. Psychological Bulletin, 63(6), 384.
Tuckman, B. W., & Jensen, M. A. C. (1977). Stages of Small-Group Development Revisited. Group & Organization Studies, 2(4), 419–427. https://doi.org/10.1177/105960117700200404