digitalien.org — Stefan Knecht

Search

Empirische Prozesskontrolle

In einem determinierten Prozess ist alles definiert. Alle Abläufe geschehen ohne Abweichung immer gleich. Es gibt keine Überraschungen, alle Eventualitäten sind bekannt und für alles gibt es einen Prozess.

Es gibt einen fixfertigen Plan und in jeder Situation kann reagiert werden. Auf Aktion A geschieht Reaktion B.
 
Im Projektmanagement geschieht das selten. Die Realität ist, dass zu Beginn eines Vorhabens eben nicht alle Randbedingungen bekannt sind und Störungen jederzeit auftreten werden. In dynamischen, emergenten Situationen ist empirische Prozesskontrolle oder empirisches Management gemäßer — wenn nicht die einzig mögliche Art unter Unsicherheit zu handeln.

Empirie: auf Grundlage des aktuell vorhandenen Wissens entscheiden

In der empirischen Prozesskontrolle wird auf Grundlage des aktuell vorhandenen Wissens entschieden. So können während der gesamten Projektlaufzeit und so spät als verantwortungsvoll möglich, informierte Entscheidungen getroffen werden. Mit jedem weiteren Umstand wird die Basis für Entscheidungen breiter und Entscheider sind besser informiert.

‘Empirisch’ ist daran, durch konkrete Erfahrungen und Beobachtungen Unsicherheiten und Unklarheiten zunehmend zu beseitigen — also laufend mehr Klarheit zu gewinnen.

In deterministischer Planung muß bei jeder Abweichung vom kritischen Pfad der gesamte Entscheidungsbaum neu betrachtet werden. Das hält auf und kostet Zeit.

Agil heisst: iterativ, kollaborativ und inkrementell

Agile Vorgehensformen planen empirisch: iterativ (schrittweise), kollaborativ (in der offenen Zusammenarbeit) und inkrementell (in zunehmend besseren Schritten aufeinander aufbauend).

Agiles Projektmanagement plant ständig. Und natürlich kann es auch zu Beginn einen groben Plan und auch Meilensteine/-termine geben, eine Wunschvorstellung wie alles laufen könnte.
 
Agile Planung akzeptiert, dass Planung nicht vollständig oder unveränderlich ist. Geplant wird auf Sicht, so weit man Unsicherheiten ausräumen kann, gerade so weit in die Zukunft, wie die Tatsachen es zulassen. Wenn man so will: just-in-time und ein bisschen darüber hinaus. Gerade so viel und weit, wie es braucht, um in der nächsten Iteration Nützliches zu liefern.
 
Der Vorteil ist: es wird Zeitverzug, Aufwand und damit die Verschwendung einer anfänglichen und schnell obsoleten Planung vermieden. Die ständige Planung über ein Backlog wird im Detail vielleicht sogar mehrmals täglich angepasst an neue Kenntnisse und Bedürfnisse. Unsicherheit und Annahmen werden durch neue Informationen reduziert.

deterministisch vs empirisch

Die wesentlichen Unterschiede liegen in der Vorhersagbarkeit bzw. Nicht-Vorhersagbarkeit des Planungsraums.

Bedingungen für empirische Steuerung

deterministische, vordefinierte Planung

  • alle Anfangsbedingungen sind restlos bekannt

  • jede Handlung kann präzise und im Voraus beschrieben werden

  • ein Ablauf mag kompliziert sein doch im Voraus planbar

Beispiele sind das klassische Fließband oder konventionelle Sachbearbeitung wie eine Rentenbewilligung. Es läuft immer gleich, keine Abweichungen.

Führung geschieht effizient über ‘Command and Control’ oder kooperative Führung.

empirische Planung

  • Umgebung und Anfangsbedingungen sind veränderlich

  • Anforderungen ändern sich über die Zeit

  • viele Variablen machen einen ‘besten Weg’ unmöglich

Beispiele sind die Passagierbetreuung während eines Flugs oder Autofahren im dichten Verkehr.

Führung, Planung und Nachsteuerung geschieht über ‘inspect and adapt’ und kurze Zyklen. Selbstorganisierte Teams funktionieren am Besten.

Die Lösung komplexer Probleme über empirische Steuerung oder Prozesskontrolle benötigt als ‘Umgebungsvariablen’ damit …

  • Kreativität

  • Initiative

  • Lernen

Mit empirischer Steuerung wandelt sich Unternehmenskultur

Besser gelingt das in einer Unternehmenskultur, die Vertrauen statt Schuldzuweisungen als Grundlage des Miteinanders hat, Fehler als Gelegenheit des Lernens versteht und in wechselseitigem Respekt Menschen nicht als Ressourcen und Leitungsrollen nicht als Roboter versteht.

Mit empirischer Steuerung wandelt sich also auch Unternehmenskultur. Ebenso ungeplant und planbar wie es die Kerneigenschaft empirischer Steuerung ist.

Volle Kraft, Wirksamkeit und Nachhaltigkeit erreichen Organisationen, wenn sie sich zu einem agilen Organismus wandeln.